DER BETRIEB
Daten als Entgelt
Ein mehrwertsteuerlich fragwürdiger Ansatz

Daten als Entgelt

Ein mehrwertsteuerlich fragwürdiger Ansatz

Prof. Dr. Joachim Englisch

Führt die Einwilligung des Nutzers kostenloser Internet-Dienstleistungen in die Verwertung seiner persönlichen Daten zur Annahme eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustauschs? Und könnte dies dazu führen, dass sogar der Nutzer selbst als Unternehmer zu gelten hat? Hier sind Skepsis und eine genaue Analyse der jeweiligen Geschäftsmodelle angezeigt.

Prof. Dr. Joachim Englisch
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Musik, Videos, Spiele, Informationen, Apps – all dies ist im Internet gratis zu erhalten, ebenso wie die Nutzung von Cloud-Speicherplatz, sozialen Netzwerken und zahlreichen weiteren Online-Diensten. Im Gegenzug fordern die Anbieter solcher kostenlosen Leistungen allerdings vom Nutzer regelmäßig die Einwilligung, dass von ihm bestimmte persönliche Daten oder Nutzerprofile gespeichert, verarbeitet und weiterverwertet werden dürfen. Diese Daten lassen sich vor allem dank sog. „Big Data Analytics“ ihrerseits monetarisieren, insbesondere wenn sie für Zwecke personalisierter Werbung genutzt werden. In jüngerer Zeit wird daher vermehrt diskutiert, ob die Überlassung persönlicher Daten bzw. die Einwilligung dazu unter mehrwertsteuerlichen Gesichtspunkten als Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG bzw. des Art. 2 Abs. 1 MwStRL zu charakterisieren ist. Die Anbieter kostenloser Internetdienste könnten dann Umsatzsteuer für steuerpflichtige tauschähnliche Umsätze schulden, und die Nutzer wären womöglich aufgrund der wiederholten Erbringung solcher Umsätze ihrerseits – vorsteuerabzugsberechtigte! – Unternehmer.

Bereitstellung personenbezogener Daten als „Gegenleistung“?

In ihrem BEPS-Abschlussbericht hat sich die OECD für einen solchen Ansatz offen gezeigt (Action 1, Final Report, S. 175). Die EU-Kommission hat sich bislang nur unreflektiert und ablehnend geäußert (VAT Committee WP 878 vom 22.09.2015, S. 10). Sie hat aber Ende 2015 auch einen Richtlinienentwurf zu vertragsrechtlichen Aspekten der Bereitstellung digitaler Inhalte vorgelegt (COM[2015]634 final), in dem sie die Bereitstellung personenbezogener Daten durch den Nutzer ausdrücklich als „Gegenleistung“ bezeichnet. Im Schrifttum wird denn eine Mehrwertsteuererhebung auch überwiegend für geboten erachtet (statt aller Ehrke-Rabel/Pfeiffer, SWK 2017 S. 532, m.w.N.). Tatsächlich ist dies aber gerade im Lichte jüngerer EuGH-Rechtsprechung weniger eindeutig, als es der Slogan von Daten als der „neuen Währung“ des Internetzeitalters suggeriert.

Allerdings scheitert die Steuerbarkeit kostenloser Internet-Dienste regelmäßig nicht schon daran, dass es sich bei der Datenüberlassung durch den Nutzer um eine bloße Leistungsbeistellung handeln würde. Denn die von den Anbietern verlangte Einwilligung in die Datenspeicherung und -verarbeitung geht typischerweise über das für die sinnvolle Nutzung des Dienstes erforderliche Maß hinaus. Keine Rolle spielt es ferner, dass die Daten dem Anbieter vielfach nur pseudonym und typischerweise nicht exklusiv zur Verfügung gestellt werden. Schließlich dürfte auch die möglicherweise fehlende Möglichkeit für die Anbieter, eine etwaige Umsatzsteuerlast im wirtschaftlichen Ergebnis auf die Nutzer der kostenlosen Dienste zu überwälzen, die Annahme eines steuerbaren Leistungsaustauschs nicht hindern. Allerdings hat sich der EuGH zur Bedeutung dieses Umstands bislang noch nicht ausdrücklich geäußert (offengelassen in EuGH vom 24.10.2013 – Rs. C-440/12, Metropol Spielstätten, DB 2013 S. 2660). In seinen Urteilen zur Besteuerung der Abgabe von Werbegeschenken hat er aber implizit zu erkennen gegeben, dass es hierauf bei der Beurteilung der Steuerbarkeit nicht ankommen soll (vgl. z.B. EuGH vom 27.04.1999 – Rs. C-48/97, Kuwait Petroleum, DB 1999 S. 1048).

Differenzierung nach Geschäftsmodellen ist angezeigt

Entscheidend ist vielmehr, wie die Gegenleistungsbeziehung bei der Erbringung von „Diensten gegen Daten“ zu beurteilen ist und welche Anforderungen an die Beschaffenheit einer die Besteuerung auslösenden Gegenleistung gestellt werden. Hier ist nach verschiedenen Arten von Online-Geschäftsmodellen zu differenzieren. In bestimmten Konstellationen dürfte schon ein (reguläres) Entgelt von dritter Seite i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG vorliegen. So erhalten etwa manche kostenlos genutzten Vergleichsportale für den „Klick“ auf die Website eines Vergleichsergebnisses von dessen Anbieter eine Vergütung und nutzen personenbezogene Daten auch nur zur Weiterleitung an selbigen. Nicht konstruieren lassen dürfte sich ein Entgelt durch Dritte hingegen für die populären „Freemium“-Modelle. Denn hier wird ein Entgelt vom zahlenden Nutzer nur für die selbst erhaltene „Premium“-Leistung und nicht in Abhängigkeit von einer anderen Nutzern kostenlos erbrachten Basisleistung geschuldet. In anderen Dreieckskonstellationen kann es ganz an einem Leistungsaustausch fehlen, wenn nämlich die Daten kraft einer dem Anbieter der kostenlosen Leistung zu erteilenden Einwilligung unmittelbar von einem Dritten (z.B. einem Online-Werbebroker) erhoben werden. Der Dienstleister ist dann nicht Empfänger der Daten als potenzieller Gegenleistung, und deren Empfänger wiederum hat dem Nutzer keine Leistung erbracht. Werden wiederum personenbezogene Daten nur zwecks Verbesserung des eigenen Serviceangebots gesammelt, wie etwa von bestimmten virtuellen Marktplätzen, dürfen sie nicht „den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung“ (st. Rspr. des EuGH) darstellen.

Meist noch ungeklärte Bewertungsmaßstäbe

In den meisten Fällen allerdings läuft die Beurteilung auf die Frage hinaus, ob dem Recht zur Datenerhebung und -nutzung ein hinreichend genau ermittelbarer Geldwert beigemessen werden kann. Der EuGH hat einen solchen Gegenwert bei tauschähnlichen Umsätzen traditionell „subjektiv“ anhand der dem Anbieter erwachsenen Kosten bestimmen wollen (so z.B. EuGH vom 02.06.1994 – Rs. C-33/93, Empire Stores, DB 1995 S. 256). Hier würde sich dann das Problem stellen, dass die marginalen Kosten einer einzelnen kostenlosen Nutzung bei digitalen Diensten meist gegen Null tendieren. Eine Durchschnittskostenbetrachtung wiederum hätte entgegen der wirtschaftlichen Realität zur Folge, dass einzelne Daten umso weniger wert wären, je mehr Nutzer ihre Daten zur Verfügung stellen. In der vor kurzem entschiedenen Rechtssache Baštová (EuGH vom 10.11.2016 – Rs. C-432/15, DB 2016 S. 2812) hat der EuGH allerdings stattdessen auf den objektiven Wert des erhaltenen Vorteils abgestellt; dieser dürfe aber nicht „schwierig zu beziffern und ungewiss“ sein. Es käme dann also darauf an, ob sich personenbezogenen Rohdaten ohne besonderen Aufwand ein hinreichend eindeutiger Wert beimessen lässt. Hierzu gibt es im Schrifttum unterschiedliche, überwiegend aber skeptische Einschätzungen (vgl. nur OECD, Exploring the economics of personal data, 2013). Kann der Nutzer die Einwilligung in die Datenspeicherung widerrufen, ist der wirtschaftlicher Vorteil des Diensteanbieters zudem eventuell zu ungewiss. In jedem Fall aber dürfte die bloße Nutzung von kostenlosen Online-Diensten bei der in Art. 9 MwStRL angelegten typologischen Betrachtungsweise (z.B. EuGH vom 12.05.2016 – Rs. C-520/14, Gemeente Borsele) keine Unternehmereigenschaft begründen.