DER BETRIEB
Schutz vor Steuerwildwuchs auch für Unternehmen!
Kernbrennstoffsteuer verfassungswidrig

Schutz vor Steuerwildwuchs auch für Unternehmen!

Kernbrennstoffsteuer verfassungswidrig

Prof. Dr. Johanna Hey

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Finanzverfassung schützt Bürger und Unternehmen gleichermaßen vor einem unkontrollierten Zugriff durch neuartige Steuern. Insbesondere der Bund kann sich außerhalb der im Grundgesetz normierten Steuertypen nicht selbst bedienen.

Prof. Dr. Johanna Hey
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Neuartige Steuern werfen regelmäßig die Frage ihrer finanzverfassungsrechtlichen Legitimation auf, die dann in Karlsruhe geklärt werden mus. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Luftverkehrsteuer, die nach BVerfG vom 05.11.2014 (1 BvF 3/11, BVerfGE 137 S. 350), als auf motorisierte Verkehrsmittel erhobene Verkehrsteuer von Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG gedeckt war. Die Kernbrennstoffsteuer hat das BVerfG dagegen mit Beschluss vom 13.04.2017 (2 BvL 6/13) für mit Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG unvereinbar und nichtig erklärt. Es handelt sich nicht um eine Verbrauchsteuer. Dem Bund fehlte die Gesetzgebungskompetenz.

Eine Steuer auf gewerblich genutzten Kernbrennstoff, deren Entstehung an das Einsetzen des Brennstabs und die erstmalige Auslösung der Kettenreaktion geknüpft ist – das war von Anfang an ein finanzverfassungsrechtliches Kuriosum. So war es nicht verwunderlich, dass die Kernbrennstoffsteuer den Weg vor das BVerfG gefunden hat.

Grundsätzliche Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung ist – trotz des auf den ersten Blick sehr speziellen Gegenstandes – nicht nur ein Schmankerl für Verbrauchsteuerenthusiasten oder Atomlobbyisten, sondern enthält eine Reihe sehr zentraler Aussagen, die weit über die Kernbrennstoffsteuer hinausreichen.

Erstens: Engmaschige verfassungskritische Beobachtung des Gesetzgebers lohnt sich! In Presse und Politik fand die Entscheidung vor allem wegen der hohen finanziellen Auswirkungen Beachtung. Da davon auszugehen ist, dass sämtliche Kernbrennstoffsteuerbescheide offen gehalten wurden, wird das gesamte Steueraufkommen von über 6 Mrd. Euro zuzüglich 6% Zinsen zurückzuerstatten sein. Dogmatisch gab es zu der ex tunc-Nichtigkeit keine Alternative. Die im Steuerrecht so gebräuchlichen pro-futuro-Entscheidungen müssen richtigerweise auf Fälle gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums beschränkt bleiben. Dennoch ist das BVerfG in der Vergangenheit im Interesse verlässlicher Haushaltsführung des (verfassungswidrig agierenden) Staates auch bei Verletzung formellen Verfassungsrechts vor den Konsequenzen rückwirkender Entscheidung zurückgeschreckt (z.B. BVerfG vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07). Diesmal hat es sich von den finanziellen Auswirkungen nicht beirren lassen, und zwar vor allem, weil der Gesetzgeber das finanzverfassungsrechtliche Risiko kannte (Rz. 162 a.E.). Im Schrifttum war die Gesetzgebungskompetenz von Anfang an bestritten worden.

Zweitens: Die Senatsmehrheit begründet ausführlich, dass es außerhalb der in Art. 106 GG aufgeführten Steuertypen kein freies Steuererfindungsrecht des einfachen Gesetzgebers gibt (Rz. 69-98). Eine übermäßige Beschneidung politischer Gestaltungsspielräume kann man dem Senat dabei nicht vorwerfen. Er hält fest an seiner bisherigen Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber innerhalb der sehr offen gehaltenen Typusbegriffe der Art. 105, 106 GG über weite Gestaltungsspielräume verfügt (Rz. 68). Die Einführung neuer, nicht vom Katalog gedeckter Steuern bedarf dagegen der qualifizierten Mehrheit einer Grundgesetzänderung. Die Richter Huber und Müller haben einer solchen Begrenzung zwar widersprochen, verhindern jedoch durch erweiternde Auslegung von Art. 105 Abs. 3 GG zumindest Alleingänge des Bundesgesetzgebers, indem sie für die Einführung neuer Steuern die Zustimmung des Bundesrates fordern.

Drittens: Diese deutliche Absage an steuerlichen Wildwuchs wird nur dann Begrenzungsfunktion entfalten, wenn die Steuertypen – insb. Verbrauchsteuer und Verkehrsteuer – unterscheidbar sind. Fehlte es bisher an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist der Markenkern der „Verbrauchsteuer“ jetzt geklärt. Das Wesen der Verbrauchsteuer ist, dass sie die Einkommensverwendung belastet. Dies steht einer indirekten Erhebung nicht entgegen, setzt aber voraus, dass die Steuer auf Überwälzung angelegt ist. Hier nun wurde dem Kernbrennstoffsteuergesetzgeber die Gesetzesbegründung zum Verhängnis. Einerseits war eine Umqualifikation in eine Vorzugslast nicht möglich, weil die ursprüngliche Intention der Abschöpfung der aus der Laufzeitverlängerung resultierenden Gewinne in der endgültigen Begründung nicht mehr enthalten war. Andererseits hatte der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er gerade nicht von einer Überwälzbarkeit in Form höherer Strompreise ausging. Man kann zweifeln, ob allein ein falscher Zungenschlag in der Gesetzesbegründung tatsächlich über die Qualifikation entscheiden kann. In der Sache ist indes zuzustimmen. Jegliche von Unternehmen erhobene Steuer wird überwälzt, im Zweifel auch auf Konsumenten. Verbrauchsteuern sind aber gerade von Unternehmensteuern abzugrenzen (Rz. 116).

Viertens: Das Grundgesetz schützt nicht nur den einzelnen Bürger, sondern auch Unternehmen vor steuerlichem Wildwuchs. Das ist vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 3 GG nur konsequent. Zusammen mit der nur wenige Wochen zuvor bekanntgewordenen Entscheidung zu § 8c KStG (BVerfG vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11) scheint damit die Sorge, dass die Verfassung ihre Schutzwirkung gegenüber (großen) Unternehmen nicht entfaltet, unbegründet. Entgegen Lepsius (JZ 2014 S. 488 [499]) ist das Grundgesetz nicht in erster Linie Instrument zum Schutz der „kleinen Leute“. Unternehmen stehen dem Steuergesetzgeber genauso schutzbedürftig gegenüber wie Bürger. Zudem sind sie nur Intermediäre, da Steuern im Ergebnis stets das Konsumpotential natürlicher Personen mindern.

Notwendige Abstraktion vom Einzelfall

Es ist moniert worden, dass der Zweite Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Doch was hätte der Bund dort vortragen können? Es mag sein, dass die Entscheidung nicht in das Gesamtpaket des Atomdeals passt. Dann hätte man dort auf Rücknahme auch der Klage gegen die Kernbrennstoffsteuer bestehen müssen. Das BVerfG hingegen entscheidet über Verfassungsrechtsfragen. Seine Entscheidungen verlören ihre wichtige Orientierungsfunktion, wenn sie mit sachfremden Erwägungen vermengt würden. Was das Wesen des Steuertypus Verbrauchsteuer ausmacht, musste unabhängig von dem – zugegebenermaßen komplexen – Hintergrund des Atomausstiegs und der Altlastenverantwortlichkeit entschieden werden. Schließlich kommt dem Steuertypus der Verbrauchsteuer über die Kernbrennstoffsteuer hinaus, weitreichende Bedeutung zu.

Fazit: Das BVerfG ist seiner Schutzfunktion im gewaltengeteilten Rechtsstaat in vollem Umfang gerecht geworden. Zugleich trägt die Entscheidung ganz wesentlich zur Klärung finanzverfassungsrechtlicher Grundsatzfragen bei.