DER BETRIEB
Anzeigepflicht für Steuergestaltungen: Augenmaß vor Aktionismus und Kontrollwut!

Anzeigepflicht für Steuergestaltungen: Augenmaß vor Aktionismus und Kontrollwut!

WP/StB Harald Elster

Das Thema ist nicht neu: Scharfer verfassungs- und europarechtlicher Gegenwind wehte die Ideen des BMF und der Länder zur Anzeigepflicht für Steuergestaltungen in 2007 aus dem Deutschen Bundestag. In Zeiten von Cum/Ex oder Steuervermeidungsstrategien à la Apple erfolgt der Ruf nach einer Meldepflicht jedoch inzwischen von allen Seiten.

WP/StB Harald Elster
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„Was soll die Pflicht?“ wird sich manch einer angesichts nationaler Prüfungsinstrumente wie Risikomanagementsysteme, Betriebsprüfungen oder Nachschauen fragen. Die EU und der deutsche Gesetzgeber sind sich jedoch einig: Steuerschlupflöcher müssen früher erkannt und geschlossen werden. Die Veranlagung bedarf weiterer Unterstützung. Abschreckend soll die Pflicht wirken. Der DStV unterstützt zwar, dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht beeinträchtigt werden darf. Mehr Transparenz auf internationaler Ebene kann insoweit förderlich sein. Werden jedoch Zielgenauigkeit und Augenmaß über Bord geworfen, dann werden auch kleine und mittlere Kanzleien von Bürokratiemehraufwand und Sanktionen betroffen sein – obwohl sie nicht in kritische Modelle involviert sind.

Steuerpolitischer Druck auf dem Kessel

Die OECD verfolgt Berichtspflichten im Zuge des BEPS-Projekts. Die EU-Kommission hat am 21.06.2017 einen Richtlinienentwurf zur Einführung einer Meldepflicht für grenzüberschreitende Modelle vorgelegt. Der Rat der Europäischen Union will seine diesbezüglichen Erörterungen bis Ende des Jahres abschließen. Und auch national rückt das Thema erneut in den politischen Fokus. Das Max-Planck-Institut für Steuerrecht (MPI) bestätigte dem BMF mit einem Gutachten: Eine sanktionsbewährte Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle ist verfassungsrechtlich in Deutschland zulässig. Auf dieser Basis befasst sich eine Facharbeitsgruppe von Bund und Ländern mit Überlegungen zu konkreten Maßnahmen seit September letzten Jahres. Den Finanzministern der Länder geht das offenbar nicht schnell genug: Am 09.11.2017 beschlossen sie, dass nun die Finanzstaatssekretäre Eckpunkte für eine Anzeigepflicht für rein nationale Steuergestaltungen erarbeiten sollen. Bis Sommer 2018 sollen dann Gesetzesformulierungen auf dem Tisch liegen.

Nur ein Thema für die „Großen“?

Gesetzgeberische BEPS-Maßnahmen betrafen bisher überwiegend multinationale Unternehmen und international tätige Beratungsgesellschaften. Bei der Anzeigepflicht liegt es nach dem gegenwärtigen Stand anders. Es besteht ein hohes Risiko, dass ein Bürokratiemonster für alle droht: Umsatzgrenzen sieht weder der EU-Vorschlag vor, noch lassen die nationalen Erörterungen eine entsprechende Einschränkung erkennen. Der Bundesrat möchte zudem über die EU-Pläne hinausgehen. Ginge es nach seinem Beschluss vom 22.09.2017, sollen neben den grenzüberschreitenden auch innerstaatliche Steuergestaltungen angezeigt werden müssen. Die Gespräche des DStV mit Bund und Ländern lassen bislang keine zielgenauen Vorstellungen über die Definition des Gegenstands erkennen. Rechtsunsicherheiten für alle wären die Folge: Wie ließen sich die vom Gesetz eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten von den zwar legalen, aber Unerwünschten abgrenzen?

Wie werden die unerwünschten Steuergestaltungen bestimmt?

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission bestimmt die anzuzeigenden grenzüberschreitenden Gestaltungen in einem abschließenden Katalog. Ein solcher Katalog kann ein praktikabler Ansatz sein. Die vorgeschlagenen Regelungen sind allerdings noch viel zu unbestimmt.

Ein Beispiel: Jede grenzüberschreitende Nutzung von Verlusten soll anzeigepflichtig sein, wenn deren Hauptzweck die Verringerung der Steuerbelastung ist. Was gilt aber, wenn wirtschaftliche und steuerliche Zwecke aufeinandertreffen? Ein Unternehmen möchte beispielsweise eine gewinnversprechende Investition tätigen. Es hat hierfür die Auswahl zwischen der Zentrale am Sitz der Geschäftsleitung oder einer Betriebstätte im Ausland. Die Betriebsstätte verfügt über steuerliche Verlustvorträge. Beide Standorte sind hinsichtlich der gewinnversprechenden Faktoren identisch. Der steuerliche Berater schlägt vor, die Investition an der Betriebsstätte durchzuführen, um die Verlustvorträge schneller nutzen zu können. Gleichwohl wäre die Investition aus wirtschaftlichen Erwägungen auch ohne die Verlustnutzung getätigt worden. Welche von beiden Motivationen das stärkere Gewicht zukommt, ist kaum messbar. Zeigt der Steuerberater die Gestaltung nicht an, geht er das Risiko der Sanktionierung und der Auseinandersetzung mit der Finanzverwaltung ein.

Um unerwünschte nationale Gestaltungen aufzudecken, könnte der Vorschlag des MPI aufgegriffen werden: Das Einkommensteuergesetz kennt im § 15b den Begriff der modellhaften Gestaltung. Der BFH hat in 2014 diesen Begriff als mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar erklärt und mit Leben gefüllt. Das MPI legt dem Gesetzgeber in seinem Gutachten nahe, daran anzuknüpfen. Aber statt halbwegs auf Rechtssicherheit zu achten, wird dieser Vorschlag abgelehnt. Der Begriff sei zu eng.

Wollen Bund und Länder also weiter gehen, dann Vorsicht! Das MPI hat die verfassungsrechtlichen Grenzen mehr als deutlich aufgezeigt. Der Anwendungsbereich der Anzeigepflicht müsse aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit eng begrenzt werden. Es bestünden verfassungsrechtlich erhebliche Zweifel, wenn sich Berater bei ihrem Alltagsgeschäft mehrfach täglich fragen müssten, ob sie eine Anzeige abzusenden haben.

Das Vertrauensverhältnis in Gefahr

Das vielleicht größte Problem: Wie wird der verfassungsrechtlich verbriefte Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Mandanten und seinem Berater gewährleistet? Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission verlangt, dass der Name des Steuerpflichtigen gemeldet wird. Das widerspricht geltenden grundlegenden Prinzipien und gleicht einem Parteiverrat. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss dem Bürger ein Rechtskundiger zur Seite stehen, auf dessen Verschwiegenheit der Beratene vertrauen kann. Nur dies gewährleistet die Waffengleichheit gegenüber staatlichen Eingriffen. Die Verschwiegenheitspflicht dient daher gerade nicht den eigenen Interessen des Beraters. Vielmehr schützt sie den Mandanten und den Rechtsstaat. Der EU-Richtlinienentwurf sieht zwar eine Pflicht für die Mitgliedstaaten zur Einführung einer Ausnahme von der Meldepflicht vor, wenn bei ihnen Privilegien der Angehörigen von Rechtsberufen gelten. Dies hilft jedoch wenig: Mit dieser Formulierung dürften lediglich die britischen Regelungen gemeint sein. Sie sind aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme nicht mit unserem Recht vergleichbar. Damit wäre die Verletzung des deutschen Rechts vorprogrammiert.

Fazit

Eine Anzeigepflicht darf es nur geben, wenn sie in den Kanzleien vollziehbar ist und die Verschwiegenheitspflicht des Beraters gewährleistet bleibt. Die Meldepflicht muss auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt werden. Die wesentlichen Fälle von aggressiver Steuergestaltung wären damit abgedeckt. Zudem würde so einer Anzeigenflut entgegengewirkt, welche die Entdeckung der relevanten Fälle gefährdet und die Pflicht ins Leere laufen ließe. Schließlich müssen die Vorgaben in der EU-Richtlinie so präzise wie möglich bestimmt werden. Unterschiede in den Meldepflichtsystemen der Mitgliedstaaten würden die Erhöhung der Transparenz konterkarieren.