DER BETRIEB
Abschaffung der Abgeltungsteuer – Rolle rückwärts zum lex imperfecta?

Abschaffung der Abgeltungsteuer – Rolle rückwärts zum lex imperfecta?

StB Dipl.-Kfm. Dr. Hans Weggenmann

Die steuerpolitischen Pläne der GroKo sehen u.a. die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinserträge vor. Die GroKo stellt diese Maßnahme in den Kontext der Etablierung eines automatischen Informationsaustauschs und gibt dafür keine weiteren Gründe vor.

StB Dipl.-Kfm. Dr. Hans Weggenmann
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Wir erinnern uns: Die Abgeltungsteuer wurde mit Wirkung vom 01.01.2009 vor allem auch deshalb eingeführt, um dem Erhebungsdefizit bei Einkünften aus Kapitalvermögen zu begegnen. Bis dahin beschäftigte sich das BVerfG bereits mehrfach mit der Frage, ob die Besteuerung von Zinserträgen mit dem Gleichheitssatz vereinbar sei, weil der Fiskus mangels hinreichender Kontrollmöglichkeiten im Veranlagungsverfahren nicht ausschließen könne, dass der steuerehrliche Bürger schlechter behandelt würde als der steuerunehrliche. So konstatierte das BVerfG in seinem Zinsurteil vom 27.06.1991 (2 BvR 1493/89, DB 1991 S. 1421) bereits, dass die Festsetzung von Steuern nicht von der Steuerehrlichkeit der Steuerschuldner abhängig gemacht werden könne und das Deklarationsprinzip im Veranlagungsverfahren um ein Verifikationsprinzip ergänzt werden müsse. Nun will die GroKo die Abgeltungsteuer auf Zinserträge also abschaffen (Entwurf KoaV S. 69, Zeilen 3105 f.) und unterstellt dabei, dass der Staat über ausreichende Kontrollmechanismen verfüge, um die Erhebungsgerechtigkeit sicherzustellen. Das BVerfG hingegen lässt ein lex imperfecta nicht genügen und verlangt insb. hinreichende Kontrollen im Veranlagungsverfahren.

GroKo im Widerspruch

Dies erfordert zunächst einmal die Schaffung von Ressourcen in der Finanzverwaltung sowohl in personeller als auch in technischer Hinsicht. Zudem müssen sich auch die Schuldner der Kapitalerträge, allen voran die Finanzinstitute, auf einen immensen administrativen Aufwand einstellen, um ihren dann veränderten Mitwirkungspflichten gerecht werden zu können. Damit widerspricht sich die GroKo selbst, wenn sie im Koalitionsvertrag vorgibt, dass Steuervereinfachung eine Daueraufgabe sei (S. 68). Wurde die Abgeltungsteuer nicht auch deshalb eingeführt, um die Steuererhebung wesentlich zu vereinfachen und insb. die Finanzverwaltung im Veranlagungsverfahren zu entlasten? Derzeit ist die Erhebungslast den Steuerschuldnern aufgebürdet, also vor allem den Finanzinstituten, die als Schuldner der Kapitalerträge nicht nur die Abgeltungsteuern auf Rechnung der Stpfl. an das FA abzuführen haben, sondern auch dafür haften. Dieses Vorgehen ist zudem durch die Verfassungsrichter legitimiert, heißt es doch im vorgenannten Urteil vom 27.06.1991: „Es bliebe auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn der Gesetzgeber alle Kapitaleinkünfte an der Quelle besteuert und mit einer Definitivsteuer belastet, die in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten typisiert.“

Dem Staat werden Steuereinnahmen gesichert

Das vorgenannte Prinzip rechtfertigt die heute bestehende schedulenhafte Erfassung von Kapitalerträgen, die Werbungskosten nicht mehr zum Abzug zulässt und Verlustverrechnungsmöglichkeiten nur innerhalb der Kapitaleinkünfteschedule zulässt. Dieses restriktive, vom sog. Nettoprinzip abweichende System einer Bruttobesteuerung mit typisierendem Steuersatz (25%) sichert dem Staat vor allem Steuereinnahmen.

Dennoch: Die Abgeltungsteuer ist bereits de lege lata nur als Ausnahmeregelung für Sparer zu sehen. Dies schon deshalb, weil eine Vielzahl von Ausnahmetatbeständen geschaffen wurde, welche den Stpfl. wieder in die Veranlagung für Zinserträge zurückkatapultieren:

  1. a)

    der GmbH-Gesellschafter für Gesellschafterdarlehen,

  2. b)

    der nahe Angehörige, der ein Darlehen begibt,

  3. c)

    bei Gewinneinkünften,

  4. d)

    bei Vermietungseinkünften usw.

Zum Teil sind diese Ausnahmen gegen den Gestaltungsmissbrauch gerichtet und sichern somit wiederum das Steueraufkommen.

Eine der wesentlichen Schwächen der Abgeltungsteuer besteht heute darin, dass sie dann nicht erhoben werden kann, wenn ein Depot bei einem ausländischen Finanzdienstleister unterhalten wird. Dies zeigt zugleich einen Charakterzug für Kapitaleinkünfte und die Grenzen des Rechtsstaats auf: die globale Mobilität des Kapitals, welche sich durch kein nationales Steuersystem allein im Zaum halten lässt. Die internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Kapitalflucht und Steuerhinterziehung muss daher unabhängig vom Besteuerungssystem weiter intensiviert werden. Der automatische Informationsaustausch (AIA) ist ein Weg in diese Richtung, kann aber nicht die Begründung dafür liefern, die Erhebungsart für Kapitaleinkünfte im nationalen Recht zu verändern. Vielmehr müssen zuallererst Ressourcen dafür geschaffen werden, die durch den AIA erlangten Informationen auszuwerten. Dies dürfte das schärfere Schwert sein für eine gerechtere Steuererhebung im Bereich der Kapitaleinkünfte.

Vom BVerfG an den Pranger gestellt

Die Abgeltungsteuer hat sich inzwischen trotz niedriger Zinsen zu einer wichtigen Einnahmequelle des Staates entwickelt. Dieses Ziel stand bei ihrer Einführung übrigens ebenfalls Pate. Gutachten und Stellungnahmen namhafter Verbände und Organisationen gehen davon aus, dass der Staat nach einem Wechsel ins Veranlagungsverfahren nicht mehr, sondern weniger in seinem Haushalt auf der Habenseite wird verbuchen können. Dies liegt nicht nur an erweiterten Verlustverrechnungsmöglichkeiten und dem Abzug von Werbungskosten, sondern auch am erhöhten Verwaltungsaufwand, den der Staat selbst mit Ressourcen wird bereitstellen müssen, um eine gerechte Steuererhebung sicherstellen zu können. Gerade das Versagen im zuletzt genannten Punkt war der Grund, weshalb der Staat vom BVerfG an den Pranger gestellt wurde. Die Einführung der Abgeltungsteuer war dann der Rettungsanker, womit sich der Kreis schließen dürfte.

Der GroKo ist daher von der Rolle rückwärts dringend abzuraten. Vielmehr sollte man die bestehende Abgeltungsteuer im Hinblick auf ihre zahlreichen Ausnahmetatbestände und ihre Komplexität im Schedulensystem überdenken, um einen Beitrag zur Steuergerechtigkeit aber auch Steuervereinfachung leisten zu können.