DER BETRIEB
0:1, Sieg für den Zoll – Sind Jahresendanpassungen im Transfer Pricing am Ende?

0:1, Sieg für den Zoll – Sind Jahresendanpassungen im Transfer Pricing am Ende?

Dr.-Ing. Frank Schöneborn

Der EuGH hat eine (un-?)erwartete Entscheidung zur Schnittstelle Verrechnungspreise und Zoll getroffen. Nutzen Unternehmen Jahresendanpassungen, wird finanzieller Schaden oft unvermeidlich sein. Agiles Verrechnungspreismanagement ist gefordert.

Dr.-Ing. Frank Schöneborn
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Am 20.12.2017, also kurz vor Beginn des aktuellen WM-Jahres, gab es für Verrechnungspreisexperten einen durchaus überraschenden Gegentreffer. Der EuGH (Rs. C-529/16) hat auf Anfrage des LG München eine Entscheidung getroffen, die in den letzten Wochen den Expertenkreis durchdringt und mithin Reaktionen auslöst, die zwischen Überraschung, Verwunderung und Unverständnis schwanken. Statt Klarheit im Spannungsfeld internationaler Verrechnungspreise und Zoll zu bekommen, werden viele neue Fragen aufgeworfen – nur eine wurde klar und eindeutig zugunsten des Zoll beantwortet, der Zollkodex der EU dominiert dabei die Begründung. Sind seit Jahren etablierte Praktiken im operativen Management internationaler Verrechnungspreise nicht mehr tragfähig? Auch wenn „Price-Setting“ und „Outcome-Testing“ bereits lange diskutiert werden, fehlt es nach wie vor an Konsens und verbindlichen Regelungen – national wie international. Gerade mit dieser Thematik näher befasste Praktiker aus den Unternehmen fragen sich, wie sich die Entscheidung erklären lässt: „Wurde die Materie in ihrer Komplexität durchdrungen?“, „Fanden auch Verrechnungspreisexperten Gehör?“, „Gibt es Wege aus diesem Dilemma?“.

Der Fall „Hamamatsu“ – keine Ausnahme, eher die Regel

Die Konstellation ist einfach: ein ausländischer Konzern mit Zentrale außerhalb der EU, hier Japan, liefert seine Produkte an eine deutsche Vertriebsgesellschaft, diese wiederum vertreibt sie nach Einfuhr und Verzollung im lokalen deutschen Markt. Mit jeder Lieferung fällt in Abhängigkeit vom jeweiligen Rechnungsbetrag Zoll an. Der Zollwert wird sofort ermittelt und die beiliegende Intercompany-Rechnung ist als Grundlage für den Warenwert maßgebend. Damit scheint der Vorgang – zunächst – erledigt.

Gemäß Fremdvergleichsgrundsatz muss bei konzerninternen Lieferungen der Preis auf der Rechnung für das einzelne Produkt dem entsprechen, was fremde Dritte zahlen würden. Da es jedoch oft an Vergleichswerten bzw. überhaupt an fremden Dritten auf‐

DB 16/2018 S. M5

dieser Handelsstufe mangelt, wird eine Funktions- und Risikoanalyse der Vertriebsgesellschaft erstellt. Sind Funktionen und Risiken begrenzt, wird eine geringe, wenngleich stabile Marge als angemessen erachtet. Die deutsche Vertriebstochter muss am Geschäftsjahresende einen Gewinn ausweisen, der in einer ggf. durch Benchmark-Studien auf Angemessenheit geprüften Bandbreite liegt – Messgröße ist meist die Umsatzrendite. Liegt diese oberhalb der Bandbreite, dürfte die deutsche Finanzverwaltung zufrieden sein, die Finanzverwaltung auf der anderen Seite – hier Japan – dürfte dies kritisch sehen und wird vermutlich anpassen. Liegt das Ergebnis unterhalb oder ist gar Verlust entstanden, dreht sich das Problem um: „Japan“ ist zufrieden und „Deutschland“ passt an.

So haben sich in der Praxis sog. Jahresendanpassungen als Reparaturmaßnahme verbreitet: zum Jahresende wird das Ergebnis geprüft und falls notwendig mittels Gutschrift bzw. Lastschrift und Einmalzahlung in die Bandbreite bewegt. So streiten seit Jahren Verrechnungspreisexperten, ob diese Zahlung zulässig bzw. insb. abzugsfähig sein soll und falls ja, unter welchen Bedingungen und an welche Stelle in der Bandbreite genau. Länderübergreifende Regelungen fehlen, Rechtsprechung in dieser Frage ist kaum bekannt.

Überraschung – oder doch nicht?

Im Fall Hamamatsu hat die deutsche Gesellschaft eine Gutschrift bekommen, weil das Ergebnis negativ war. Ursachen mag es viele geben: Marktpreisverfall, Kostensteigerung, Restrukturierung, letzten Endes ist dies unerheblich. Die Preise auf den Rechnungen des Werkes waren „zu hoch“ und damit auch die Bemessungsgrundlage für den Zoll. Dies „ruft“ nach einer teilweisen Erstattung, weil es sich bei der Ausgleichszahlung sinngemäß um rückwirkende Preisnachlässe handelt. Im Fall von Hamamatsu gibt es zudem auch ein Advanced Pricing Agreement (APA) zwischen Japan und Deutschland, welches diesen Rückschluss sicher stützt.

Erlaubt dies auch die Gesetzeslage? Dies war die dann doch einfache Frage, welche es gerichtlich zu klären galt. Lässt das Zollrecht derartige Korrekturen zu, falls ja wie lange und aus welchen Gründen? Muss ggf. jede Einfuhr nachberichtigt werden? Genau das wurde auf Anfrage des LG München vom EuGH beurteilt. Das Zollrecht kennt Jahresendanpassungen nicht, Korrekturen sind nur in definierten Einzelfällen und innerhalb eines kurzen Zeitraums möglich, so erscheint keine andere Entscheidung möglich als dies abzulehnen. Auch APAs bleiben hier offenbar völlig wirkungslos und können den Gegentreffer nicht verhindern. Was passieren würde, wenn die Ergebniskorrektur zwischen Japan und Deutschland in die umgekehrte Richtung ginge, blieb offen. Vermutlich würde Zoll nacherhoben, aber dieser Fall war nicht zu entscheiden.

Die Konstellation kann im Übrigen auch deutsche Konzerne treffen, die z.B. Auftragsfertiger außerhalb der EU etabliert haben. Nicht selten gilt hier als Ergebnisziel ein „Cost-Plus 15%“ auf die IST-kosten der Wertschöpfung. Jahresendanpassungen bzw. „True-ups“ sind hier fast schon ein „Muss“, da bei „Cost-Plus“ i.d.R. keine Bandbreite für den Mark-up, sondern ein punktgenauer Wert vorgegeben wird – für viele Unternehmensvertreter nicht nachvollziehbar.

Wird der Unions-Zollkodex in dieser Frage angepasst? Wird es international verbindliche Vorgaben zu Jahresendanpassungen geben? Beides ist unwahrscheinlich. Müssen Unternehmen fortan höheren Zollaufwand zwingend in Kauf nehmen? De facto ist das Urteil aus Zollsicht ergangen und auch Betriebsprüfungen greifen Jahresendanpassungen regelmäßig auf, Konzerne müssen sich also in dieser Frage dringend positionieren. Gibt es überhaupt Wege, Schaden abzuwenden?

Schon 0:2? Jetzt die „First-time-right“-Strategie ...

„First time right“ – diese Kennzahl nutzen Qualitäts- und Prozessmanager, um Ungereimtheiten und Mängel aufzudecken, denn Nacharbeiten bedeuten immer Verschwendung. „Unterjährig gleich richtig machen“ muss auch das Ziel beim Intercompany-Preis- bzw. Margen-Management sein. Hätte der Hamamatsu-Konzern unterjährig die Ertragsentwicklung in der deutschen Vertriebsgesellschaft verfolgt und die Verluste prognostiziert, wären die Transferpreise für die gelieferten Produkte vermutlich im 2. Halbjahr reduziert worden, und der angepeilte leicht positive Gewinn hätte sich auch ohne die „SOS-Maßnahme“ zum Jahresende eingestellt. Der Zoll hätte mit jeder Rechnung eine Zollwertgrundlage, eventuelle Nachfragen zur unterjährigen Veränderlichkeit der Preise wären einfach zu beantworten gewesen. Auch aus Verrechnungspreissicht gäbe es später kaum Probleme, denn im Transfer pricing gibt es bereits länger Stimmen, die im laufenden „Price-Setting“ das zu bevorzugende Verfahren sehen. Liegt vielleicht doch gar kein Widerspruch zwischen Zoll und Verrechnungspreisen vor? Steht es nicht sogar schon 0:2 gegen Jahresendanpassungen?

Um Gewinne trotz oft bestehendem „linke Tasche – rechte Tasche“-Konzerndenken kontinuierlich und steuerlich angemessen international auszusteuern, braucht es Wille und nicht zuletzt Ressourcen. Da der monetäre Effekt aus Zoll und Doppelbesteuerung quantitativ sehr gut messbar ist, sollten nun auch die Controller und ggf. Top-Manager, die hier bislang zurückhaltend agierten, aufwachen und sich dem Thema stellen. Die Strategie muss lauten: Jahresendanpassungen vermeiden wo es geht, denn auch versteckte Probleme wie Bestandsumbewertungen, Umsatzsteuer und viele weitere führen u.U. zu einer noch höheren Niederlage. Trotz der eigentlich schon deutlichen Führung bleibt das Spiel sicher spannend.