DER BETRIEB
Reform des ArbZG: Flexibilität und Arbeitnehmerschutz
Flexible Lösungen eröffnen

Reform des ArbZG: Flexibilität und Arbeitnehmerschutz

Flexible Lösungen eröffnen

Ass. Roland Wolf

Immer häufiger wird in der politischen Diskussion der Begriff der Arbeitszeitsouveränität verwendet. Dabei wird vergessen, was das Arbeitsverhältnis ausmacht; schlimmer noch: notwendige Reformen könnten verzögert werden.

Ass. Roland Wolf
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Seit der Vorlage von Grün- und Weißbuch Arbeiten 4.0 des BMAS geistert vermehrt ein Schlagwort durch die politische Landschaft. Es ist der Begriff der Arbeitszeitsouveränität. Wie häufig verbirgt sich dahinter ein bunter Strauß unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten. Der Begriff hat dabei das Potential, an die Stelle eines vor einigen Jahren ebenfalls häufig gebrauchten Modeworts zu treten, der sogenannten Work-Life-Balance. Der Begriff der Arbeitszeitsouveränität suggeriert etwas, das es im Arbeitsleben – soweit das Arbeitsrecht in seinem Kern betroffen ist – so nicht gibt, ja er steht sogar in grundsätzlichem Widerspruch zum Kernbestand des Arbeitsrechts. Das Arbeitsrecht soll die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ordnen und befrieden. Es gehört nicht zu seinem Auftrag, möglicherweise wünschenswerte allgemein gesellschaftliche Lebensentwürfe in das Arbeitsleben zu implementieren. Das mag Teil betriebspolitischer Zielvorgaben und arbeitsphilosophischer Erwägungen sein, die durch rechtliche Vorgaben flankiert werden können. Es gehört aber ganz sicher nicht zu den Kernaufgaben der Rechtsordnung.

Der mit dem Begriff verbundene Regelungsansatz insinuiert in Wirklichkeit auch etwas ganz anderes, nämlich einen Widerspruch zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Gestaltung der Arbeitszeit. Dieser Widerspruch ist künstlich. Das belegen alle Erhebungen zur Arbeitszufriedenheit in Deutschland. Die weit überwiegende Zahl aller Arbeitnehmer ist mit ihrer Arbeitszeit einverstanden. Diejenigen, die Veränderungswünsche geltend machen, bewegen sich zumeist in einem Korridor von plus ca. 1,5 bis minus ca. 1,5 Stunden. Auch unfreiwillige Teilzeitabsprachen gibt es nicht. Ja, nicht jeder Arbeitnehmer arbeitet freiwillig in Teilzeit. Diese „Unfreiwilligkeit“ resultiert aber nicht aus entgegenstehenden Interessen, Belangen und Wünschen des Arbeitgebers, sondern regelmäßig aus der fehlenden Möglichkeit, private Bedürfnisse anders als in Teilzeitarbeit erfüllen zu können. Anders gewendet: Wenn die Kindertagesstätte um 15 Uhr schließt, kann der Arbeitnehmer, der sein Kind abholen will und muss, nicht erst um 17 Uhr das Büro verlassen. Arbeitszeiten werden in diesen Fällen nicht vom Arbeitgeber, sondern von der Öffentlichen Hand „beschränkt“. Wer hier etwas ändern will, muss nicht am Arbeitsverhältnis, sondern z.B. an den Betreuungsmöglichkeiten anknüpfen.

Der Arbeitnehmer ist in der Gestaltung der Arbeitszeit damit nicht weniger frei als der Arbeitgeber. Beide haben vielmehr neben ihren persönlichen Bedürfnissen und Interessen ein primäres Interesse daran, den Wünschen ihrer Kunden und Vertragspartner zu entsprechen. An diesem Ausgangstatbestand wird auch die Digitalisierung von Leben, Wirtschaft und Arbeit nichts ändern. Sie kann aber ein Treiber sein, Arbeit und andere Verpflichtungen der Mitarbeiter noch besser in Einklang zu bringen, als dies heute schon Arbeitgeber und Betriebe versuchen.

Neue Arbeit – neue Arbeitszeit

Eine zentrale Stellschraube, mit der Regierung und Gesetzgeber dies unterstützen können, ist das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Auch ohne dessen dringend notwendige Novellierung sind insb. die deutschen Sozialpartner nicht erst seit gestern – neben den Schweden – zumindest ein „Europameister der tarifvertraglichen Arbeitszeitflexibilisierung“. Insb. hochflexible Flexi-Arbeitszeitkonten sind dafür ein zentraler und nicht wegzudenkender Baustein. Sie ermöglichen schon heute zumeist auf der Grundlage tariflicher Vereinbarungen und in deren Umsetzung durch Betriebsvereinbarungen ein hohes Maß an Flexibilität. Ihre Komplexität macht sie für kleinere und mittlere Betriebe häufig nur schwergängig anwendbar. Folge ist, dass viele dieser Betriebe auf ihren Einsatz verzichten müssen. Zwar können schon fast 60% aller Arbeitnehmer solche Flexi-Konten nutzen, die betriebliche Umsetzungsquote liegt aber nur bei gut einem Drittel. Das verschließt etwas mehr als ca. 40% der Arbeitnehmer, die bisher vielleicht im Rahmen von Gleitzeitmodellen arbeiten können, den Zugang zu der heute schon gesetzlich möglichen Flexibilität. Gerade für diese – nicht aber beschränkt auf diese – Arbeitsverhältnisse bedarf es einer Öffnung des Arbeitszeitgesetzes. Diese sollte vor allem drei Regelungsgegenstände umfassen:

Es bietet sich an, die heute auf den Arbeitstag bezogene Höchstarbeitszeit künftig auf die Woche zu beziehen. Das ArbZG ist ein Arbeitsschutzgesetz; eine Verlängerung der vereinbarten Arbeitszeit wäre mit einer solchen Öffnung daher nicht verbunden. Vielmehr würde der Schutzrahmen in einer arbeitsmedizinisch unproblematischen Weise angepasst. Das Abstellen auf eine tägliche Höchstarbeitszeit ist nichts weiter als Ausdruck einer spezifischen Ausgangssituation der beginnenden Hochphase der sog. zweiten industriellen Revolution und beschreibt eine Arbeitswelt, die in den damaligen Industriebetrieben von härtester körperlicher Arbeit und der beginnenden Massenfertigung des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet ist – eine Wirklichkeit, die es heute so nicht mehr gibt. Daher sieht z.B. auch die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) eine wöchentliche und keine tägliche Höchstarbeitszeit vor. Eine solche wöchentliche Höchstarbeitszeit kann ein Beitrag sein, Arbeitszeiten zu entzerren. So kann ein Auftrag auch einmal über einen längeren täglichen Zeitraum als zehn Stunden abgearbeitet werden. Dafür kann z.B. der Arbeitnehmer die Freistellung an einem anderen Wochentag erreichen. Die damit gewonnene Arbeitszeitflexibilität hilft – wer wollte es bestreiten – dem Arbeitgeber, sie hilft aber in ihrer konkreten Folge ganz besonders auch dem Arbeitnehmer.

Entsprechendes gilt für den zweiten Baustein einer Novellierung des ArbZG: Die Öffnung der Ruhezeit für tarifliche Vereinbarungen auch dort, wo der Gesetzgeber nicht annimmt, dass dies aus Gründen der konkreten Arbeitsleistung erforderlich ist. Mit einer solchen Öffnung wären die Tarifvertragsparteien als Träger der Sozialpartnerschaft in Deutschland in der Lage, erforderliche Anpassungen an die Ruhezeit zu vereinbaren – auch dies, ohne auch nur im Ansatz den notwendigen und gebotenen Arbeitsschutz in Frage zu stellen. Die Gestaltungsoptionen sind dabei vielfältig. Sie beschränken sich nicht auf eine andere Bemessung der Ruhezeit. Sie können auch für deren Verteilung bessere und für die jeweilige betriebliche oder Branchensituation angepasste Gestaltungsoptionen eröffnen. Durch die Beteiligung der zuständigen Gewerkschaft ist dabei schon von vornherein ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer überlastet wird. Vielmehr bietet der notwendige Tarifvertrag eine sichere Grundlage dafür, dass Belastungsrisiken ausgeschlossen werden.

Schlussendlich bleiben die Aufzeichnungspflichten von Arbeitszeiten. Diese sind nicht erst seit dem Mindestlohngesetz ein beständiges Thema rechtspolitischer Diskussionen. Sie spielen ebenfalls eine Rolle im ArbZG. Es war ein Fortschritt, dass diese Aufzeichnungspflichten im Rahmen der Novation der Arbeitszeitverordnung in Gestalt des ArbZG Mitte der vergangenen 90er Jahre angepasst wurden. Ebenso ist es sachlich geboten und zulässig, dass schon heute bestehende Aufzeichnungspflichten auf den Arbeitnehmer nach geltendem Recht delegiert werden. Konsequent wäre – gerade unter dem Gesichtspunkt der Förderung des mobilen Arbeitens –, diesen einmal eingeschlagenen Weg zu einem guten Ende zu führen. Dazu sollte mit der Übertragung der Aufzeichnungspflicht auch die vollständige Verantwortung über die Aufzeichnung auf den Arbeitnehmer übertragen werden können. Die heute nur eingeschränkte Übertragungsmöglichkeit schafft Unsicherheiten für alle Beteiligten. Vor allem begründet sie ein nicht unbeträchtliches innerbetriebliches Konfliktpotential, das sich durch eine klare gesetzgeberische Regelung auflösen lässt.

RefE zu befristeter Teilzeit – aus der Zeit gefallen

Das Gegenteil der Reduktion von Konfliktpotential birgt demgegenüber der Mitte April vorgelegte Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Heil zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts. Insb. die in ihm enthaltene Regelung zur sog. Beweisverlagerung greift tief in die Arbeitsbeziehungen in Deutschland ein. Sie könnte darauf hinauslaufen, dass nicht mehr der Arbeitgeber über Lage, Dauer und Menge der Arbeitszeit befindet, sondern dieses Recht partiell oder ganz in die Hand des Arbeitnehmers übergeht. Damit wäre allerdings die Systemfrage des Arbeitsrechts gestellt. Arbeitsrecht ist durch die „persönliche Abhängigkeit“ des als Vertragspartner handelnden Arbeitnehmers definiert. Wirtschaftlich ist mancher abhängig, persönlich nur der Arbeitnehmer. Wenn dies künftig umgestellt werden sollte, steht das gesamte Arbeitsrecht von Arbeitsschutz bis Zeiterfassung auf dem Prüfstand. Man kann nicht in den besten Teilen zweier Welten leben – Arbeitnehmer zu sein und z.B. einen weitgehenden Kündigungsschutz zu genießen, nicht aber akzeptieren zu wollen, dass der Arbeitgeber bestimmte Vorgaben für die Arbeitsbeziehung festlegt. Zu Recht enthält sich daher auch der Koalitionsvertrag irgendwelcher Ankündigungen, den damit angesprochenen § 9 TzBfG ändern zu wollen. Er erwähnt dies mit keinem Wort. Dabei muss es bleiben.

Die Vorgaben des Gesetzentwurfs zur befristeten Teilzeit, zum Erörterungsanspruch und vor allem zur Abrufarbeit bedürfen weiterer Diskussion und Überarbeitung. Es ist fragwürdig, dass der Entwurf mit neuen Schwellenwerten wieder auf alte Strukturen Bezug nimmt. Der Webfehler des TzBfG ist schon heute, auf den Arbeitgeber und nicht den Betrieb abzustellen. Dieser Fehler wird mit den Vorgaben des Entwurfs nicht nur perpetuiert, er wird sogar vertieft. Das muss korrigiert werden. Wer einen Anspruch auf befristete Teilzeit in Frankfurt/Oder geltend macht, muss sich in den dortigen Betrieb einpassen. Es hilft dem Arbeitgeber und vor allem den Kollegen des entsprechenden Mitarbeiters nicht, wenn der Anspruch allein deshalb geltend gemacht werden kann, weil das Unternehmen zufälligerweise auch noch über drei weitere Betriebsstätten verfügt. Diese können nämlich nicht ausfallende Arbeitszeit dort auffangen. Das passt nicht zusammen und daher ist der richtige Anknüpfungspunkt nicht etwa der Arbeitgeber, sondern der Betrieb. Entsprechendes gilt z.B. für die Berücksichtigung der beteiligten Arbeitnehmer. Auch hier wird erneut nach Köpfen gezählt, obwohl richtigerweise auf deren Arbeitszeit abzustellen ist.

Fazit

Die Digitalisierung führt zu Umbrüchen, die vermehrt auch das Arbeitsverhältnis betreffen werden. Die notwendigen Anpassungen werden in den kommenden Jahren gravierend sein. Rückwärtsgewandte Politik, wie sie der Gesetzentwurf zur Brückenteilzeit betreibt, wird diese Folgen nicht aufhalten. Digitalisierung bedeutet keine Gefahr, wenn das Recht sie angemessen begleitet. Versucht aber der Gesetzgeber, mit den Mitteln des Rechts sich ihr in den Weg zu stellen, wird das Vertrauen in die Rechtsordnung selbst untergraben. Daher sollten jetzt kluge Schritte zu einer Weiterentwicklung des Arbeitszeitrechts unternommen und alles vermieden werden, was bestehende Unwuchten im deutschen Arbeitsrecht – wie sie schon heute vielfach z.B. durch das ArbZG, aber auch durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz gegeben sind – weiter verschärft.