DER BETRIEB
EU-Parlament bestätigt die Reform der Entsenderichtlinie
Übertriebener Protektionismus oder Problemlösung – Was bewirkt die Neuregelung wirklich?

EU-Parlament bestätigt die Reform der Entsenderichtlinie

Übertriebener Protektionismus oder Problemlösung – Was bewirkt die Neuregelung wirklich?

RA/FAArbR Thomas Hey

Bereits vor über zwei Jahren – am 08.03.2016 – hat die EU-Kommission einen Vorschlag zu Reform der mehr als zwanzig Jahre alten Entsenderichtlinie (RL 96/71/EG vom 16.12.1996) gemacht und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Der überarbeitete Entwurf wurde am 29.05.2018 durch das EU-Parlament bestätigt.

RA/FAArbR Thomas Hey
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Deutschland ist mit im Jahre 2016 rund 440.000 dorthin entsandten Arbeitnehmern größter Aufnahmestaat in der EU. Daher unterstützt es neben den anderen großen Aufnahmeländern Belgien, Frankreich, Österreich, Luxemburg, Niederlande und Schweden als sog. „Hochlohnländer“ die Idee der Reformierung der Entsenderichtlinie, die hauptsächlich anlässlich der aus den EU-Erweiterungen 2004 und 2007 resultierenden Wettbewerbsverschärfung (gemeinhin „Sozialdumping“) angestoßen wurde. Die Ausbeutung entsandter Arbeitnehmer durch „kreative“ missbräuchliche Praktiken sollte unter dem Leitsatz „gleiches Arbeitsentgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ bekämpft werden.

Rechtsrahmen grenzüberschreitender Arbeitnehmermobilität

Neben dem typischen Fall des Auslandseinsatzes im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV kann auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV ein Modell eines grenzüberschreitenden Einsatzes gewählt werden, in dem die Verbindung zum Herkunftsstaat erhalten bleibt und die Integration in den Aufnahmestaat dagegen viel geringer ist.

Dies ist auch im Fall der Arbeitnehmerentsendung so. Von einer solchen spricht man dann, wenn ein Unternehmen eine Dienstleistung in einem anderen Land anbietet und zur Erbringung dieser Dienstleistung einen oder mehrere Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum in das entsprechende Land schickt. Nach internationalem Privatrecht (Art. 8 Abs. 2 ROM-I-VO) unterliegt der Arbeitsvertrag von Arbeitnehmern (sofern nicht bereits eine andere ausdrückliche Rechtswahl getroffen wurde) grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem gewöhnlich die Arbeit verrichtet wird (Herkunftslandprinzip). Daran ändert auch eine vorübergehende Verrichtung der Arbeit in einem anderen Land im Zuge einer Entsendung nichts, weshalb entsandte Arbeitnehmer weiterhin beim Arbeitgeber im Heimatland angestellt und in dessen Sozialversicherungssystem integriert bleiben. Rechtsvorschriften des Arbeitsorts sind in diesem Fall nur dann anzuwenden, wenn es sich um international zwingende Normen i.S.v. Art. 9 Rom I-VO handelt. Dieses Herkunftslandprinzip hat die Folge, dass Dienstleistungsanbieter aus Ländern mit einem niedrigen Lohnniveau und geringen Sozialabgaben (wie z.B. Polen oder Bulgarien) ihre Leistungen am Markt anderer Länder mitunter deutlich günstiger anbieten können als heimische Anbieter. Schon die ursprüngliche Entsenderichtlinie von 1996 wollte diese Wettbewerbsvorteile minimieren und hat daher für einen „harten Kern“ an Regelungen das Arbeitsortprinzip eingeführt (Art. 3 der RL, insb. Höchst- und Mindestruhezeiten, bezahlter Mindestjahresurlaub und Mindestlohnsätze).

Wesentliche Neuregelungen der Richtlinie

Die Neuregelung der Richtlinie sollte daran anknüpfen und sieht im Wesentlichen Folgendes vor:

  1. Nicht nur „Mindestlohnsätze“, sondern alle Regeln des Gastmitgliedstaates, die die Entlohnung betreffen und gesetzlich oder in bestimmten Tarifverträgen festgelegt sind, gelten auch für entsandte Arbeitnehmer – in allen Branchen.

  2. Der Arbeitgeber muss für Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten aufkommen (statt Abzug vom Lohn).

  3. Die maximale Entsendungsdauer wird auf 12 Monate festgelegt, verlängerbar auf 18 Monate. Danach kann der Arbeitnehmer weiterhin im Aufnahmeland arbeiten, darüber hinaus unterliegen die Arbeitsbedingungen den arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Gastlandes.

  4. Leiharbeitsunternehmen müssen ihren entsandten Arbeitnehmern die gleichen Bedingungen garantieren, wie sie für Leiharbeitnehmer im Aufnahmestaat gelten.

Kritik: Regelungsziel wurde verfehlt

Zu Recht haben Bulgarien, die Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Litauen, Lettland, Polen, die Slowakei und Rumänien den Reformvorschlag als überprotektionistische Maßnahme abgelehnt. Zum einen können Entlohnungsunterschiede im Binnenmarkt ein legitimer Wettbewerbsfaktor für Dienstleistungserbringer sein. Viel entscheidender ist aber, dass die Neuregelung das eigentliche Kernanliegen – den Schutz der entsandten Arbeitnehmer – nicht umsetzt, sondern tatsächlich eher diesem entgegenwirkt.

Die Einführung der Entsendehöchstdauer kann nur so verstanden werden, dass der europäische Gesetzgeber bei einem Überschreiten das Arbeitsortprinzip angewandt sehen will, weil das Tätigwerden in einem anderen als dem Herkunftsland dann als nicht mehr nur „vorübergehend“ anzusehen ist. Weitergedacht bedeutet dies aber nicht nur, dass den Arbeitnehmern dann etwa die bis dahin nicht zwingenden (in diesem Sinne positiven) Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zu Gute kommen können, sondern dass die gesamte (deutsche) Rechtsordnung Anwendung findet. Damit einher geht auch die Versicherungspflicht im Aufnahmeland. Dadurch dürften aber in aller Regel höhere Abgaben anfallen als im Heimatland, die vom Lohn/Gehalt des entsandten Arbeitnehmers abgehen, ohne dass diesen eine spürbare Gegenleistung gegenübersteht, weil die entsandten Arbeitnehmer die einzelnen so erworbenen Versicherungsansprüche oftmals mangels Erfüllens von Mindestversicherungszeiten gar nicht werden abrufen können. Auch die angepriesene effektiv spürbare Lohnsteigerung für die entsandten Arbeitnehmer wird es dagegen – jedenfalls in Deutschland – auch nach der Reform wohl kaum geben. Zwar sind dann die Entlohnungsbestimmungen in Tarifverträgen aller Branchen (nicht mehr nur der Baubranche) anzuwenden. Dies gilt aber weiterhin nur dann, wenn sie für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Von den insgesamt rund 71.900 gültigen Tarifverträgen in Deutschland (im Jahr 2016) sind derzeit jedoch nur noch 490 allgemeinverbindlich. Damit werden entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch weiterhin nur von einem geringen Teil der für „inländische“ Beschäftigte gültigen Tarifregelungen profitieren. Unterm Strich stehen sie also nicht besser, sondern im Hinblick auf die höheren Abzüge eher schlechter dar.

Es entsteht daher eher der Eindruck, dass der europäische Gesetzgeber mit der Neuregelung in erster Linie eine Flucht in das Modell der Entsendung für die Fälle unattraktiv machen wollte, in denen sich eine Arbeitnehmerüberlassung (etwa wegen des Equal-Pay-Grundsatzes) nicht mehr lohnt, indem er auch die Kosten einer Entsendung faktisch erhöht.

Tatsächlicher Handlungsbedarf

Statt auf fragwürdige Art und Weise protektionistisch Geschäftsmodelle zu verhindern, hätte die EU das wahre Problem angehen sollen, das sich durch die ansteigende grenzüberschreitende Arbeitnehmermobilität in der Praxis stellt:

Die zunehmende Mobilität von Arbeitnehmern über die Grenzen hinweg wirft die Frage nach gleicher Bezahlung auf. Sie wirft auch noch mehr das Thema auf, wie die Arbeitnehmer einheitliche Sozialversicherungsansprüche und auch weitergehende einheitliche Nebenleistungen wie z.B. Betriebsrentenansprüche erwerben können. In der Praxis arbeitet ein Arbeitnehmer häufig in mehreren Ländern jeweils mehrere Jahre. Im Ergebnis gelingt es ihm daher nicht, einen einheitlichen Anspruch zu erwerben. Er läuft vielmehr Gefahr, dass er zersplitterten Ansprüchen gegenübersteht, bei der Einzahlung in Betriebsrentensysteme anderer Länder Steuern zahlen muss und Anspruch auf staatliche Versicherungsleistungen wie z.B. Arbeitslosengeld verliert. Hier besteht ein hoher Handlungsdruck für die EU: Versendung, Assignments, Tätigkeiten in einem anderen Land der EU auch über mehrere Jahre hinweg und damit die Arbeitnehmerfreizügigkeit werden nur wirklich gelebt, wenn die Arbeitnehmer europaweit einheitliche Leistungen erwerben können. Erschreckenderweise divergieren aber Sozialversicherungsbedingungen und steuerliche Regelungen und sind im nationalen Recht so unterschiedlich geregelt, dass ein einheitlicher Erwerb von Ansprüchen hier nicht möglich ist. Genau das aber hemmt die Arbeitnehmerfreizügigkeit und den europäischen Binnenmarkt sowie die Möglichkeit für Unternehmen und Arbeitnehmer, da hinzugehen, wo jeweils Bedarf ist. Hier sehen wir die große Aufgabe für die EU, die sie dringend angehen sollte.