DER BETRIEB
Interne Untersuchungen in Unternehmen
Ein Fall für den Gesetzgeber

Interne Untersuchungen in Unternehmen

Ein Fall für den Gesetzgeber

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel

Die Entscheidung des BVerfG zur Beschlagnahme und Auswertung von Akten über interne Untersuchungen ist dogmatisch nicht angreifbar, geht aber über die Besonderheiten von Ermittlungsverfahren im Unternehmensumfeld hinweg.

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel
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Interne Untersuchungen sind seit rund zehn Jahren fester Bestandteil der deutschen Unternehmenspraxis. Besteht der Verdacht einer schwerwiegenden unternehmensbezogenen Straftat oder eines Kartellrechtsverstoßes, mandatieren Unternehmen häufig Rechtsanwaltssozietäten, um die Pflicht der Geschäftsleitung zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Prüfung von Handlungsoptionen operativ umzusetzen. Nicht selten dringen auch ausländische, namentlich amerikanische Behörden auf die Einschaltung von Kanzleien zur Ermittlung des Sachverhalts. Kurz: Interne Untersuchungen dienen nicht nur der Selbstreinigung, sie müssen häufig aus zwingenden rechtlichen Gründen durchgeführt werden.

Auch von deutschen Staatsanwaltschaften werden sie goutiert – jedenfalls solange die privaten Ermittler und Unternehmen kooperieren. Dort, wo dies nicht der Fall ist, haben Strafverfolgungsbehörden in den letzten Jahren mitunter rigide Mittel eingesetzt: Sie haben Büros von Rechtsanwaltssozietäten durchsucht sowie Akten und Daten über interne Ermittlungen beschlagnahmt. Der wohl prominenteste Fall trug sich im Münchner Büro der Sozietät Jones Day zu und betraf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München II gegen Mitarbeiter der Audi AG im Zusammenhang mit vermuteten illegalen Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen. Die Volkswagen AG sah darin eine Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren und einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch die Sozietät sowie drei ihrer Partner erhoben Verfassungsbeschwerden.

Kein umfassender Beschlagnahmeschutz

Mit Beschluss vom 27.06.2018 - 2 BvR 1287/17 hat das BVerfG das Vorgehen der Münchener Ermittler für verfassungskonform erklärt. Während die Beschwerde der amerikanischen Sozietät Jones Day bereits an der fehlenden Grundrechtsberechtigung scheitert und das BVerfG die Partner der Sozietät nicht in eigenen Grundrechten verletzt sieht, enthält die Volkswagen betreffende Entscheidung inhaltliche Begründungslinien, die für die weitere Diskussion wichtig sind. Sie laufen darauf hinaus, dass Beschlagnahme und Auswertung von Ergebnissen interner Untersuchungen so lange zulässig sind, wie dem Unternehmen kein beschuldigtenähnlicher Status zukomme. Damit weist das BVerfG den von einigen Vertretern der Anwaltschaft und Wissenschaft verfolgten Ansatz zurück, mandatsbezogene Akten von Rechtsanwälten umfassend gegen einen Zugriff durch Staatsanwaltschaften zu schützen.

Da § 97 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO einen solchen Schutz ausdrücklich nur für schriftliche Mitteilungen zwischen Strafverteidigern und Beschuldigten vorsieht, schlugen sie eine erweiternde Interpretation des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO vor. Danach sollten sämtliche Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht von Anwälten erstreckt, beschlagnahmefrei sei. Systematisch plausibel ist das freilich nicht, da diese Interpretation den (begrenzten) Regelungsgehalt der ersten beiden Alternativen obsolet macht. Andere haben sich daher dafür ausgesprochen, das Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot des § 160a Abs. 1 StPO als eine Art Generalklausel zu interpretieren und auf diese Weise die Akten von Unternehmensanwälten zu privilegieren. Auch dies ist wenig überzeugend, da es die übrigen Schutznormen der StPO überflüssig gemacht hätte, obgleich sie von § 160a Abs. 1 StPO „unberührt“ bleiben sollen, wie Abs. 5 deutlich sagt.

Das BVerfG hat diese Vorschläge denn auch zurückgewiesen. Vielmehr sei die an Wortlaut und Systematik orientierte enge Auslegung der StPO, auf die sich die Staatsanwaltschaft gestützt hatte, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Mehr rechtsdogmatische Eigenleistung kann vom BVerfG nicht erwartet werden, da es die Auslegung des einfachen Rechts nur beanstandet, wenn sie Grundrechte vollkommen verkennt oder aus anderen Gründen willkürlich ist. Davon konnte hier keine Rede sein: Literatur und Rspr. hatten mehrheitlich der These widersprochen, dass der lex lata ein umfassender Beschlagnahmeschutz entnommen werden könne.

Rechtliche und tatsächliche Besonderheiten verkannt

Spannender war daher die Frage, ob das BVerfG die Gesetzeslage als unzureichend erachten und die Beweisverbote erweiternd auslegen oder ein ungeschriebenes Verwertungsverbot aus den Grundrechten ableiten würde. Derartige Hoffnungen hat das BVerfG enttäuscht. Zwingende verfassungsrechtliche Gründe für eine erweiternde Interpretation der Vorschriften der StPO gebe es nicht, da Beweiserhebungs- und Verwertungsverbote die Effektivität der Strafverfolgung einschränkten und daher die Ausnahme bleiben müssten, lautet die recht apodiktische Begründung.

Folglich bleibt es dabei, dass die Ergebnisse interner Untersuchungen erst ab dem Zeitpunkt einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, ab dem das Unternehmen in eine beschuldigtenähnliche Stellung erlangt. Das soll der Fall sein, wenn ein „hinreichender Verdacht“ dafür besteht, dass eine konkrete Leitungsperson eine Straftat oder Aufsichtspflichtverletzung im Sinne von § 130 OWiG begangen hat. Da für die Beurteilung offenbar nicht die Sichtweise des Unternehmens, sondern die der Staatsanwaltschaft entscheidend sein soll, hat sie es in der Hand, einen hinreichenden Verdacht und damit die beschuldigtenähnliche Stellung mit dementsprechendem Beschlagnahmeschutz zu begründen. Das schafft die Gefahr eines taktisch angeleiteten Vorgehens. Dabei spricht die Weite von § 130 OWiG und die Großzügigkeit der Zurechnung durch § 30 OWiG dafür, die beschuldigtenähnliche Stellung schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt anzunehmen. Weist eine Straftat nämlich in tatsächlicher Hinsicht einen Unternehmensbezug auf, wird sich in der Regel über § 30 OWiG und vor allem § 130 OWiG auch ein rechtlicher Zusammenhang begründen lassen. Zumindest bei Straftaten größeren Ausmaßes ist es daher stets wahrscheinlich, dass sich die Ermittlungen auch gegen das Unternehmen selbst richten werden. Das legt nahe, schon solche Untersuchungsunterlagen zu privilegieren, die vor Einleitung der staatsanwaltlichen Ermittlungen erstellt worden sind.

Folgen für Politik und Praxis

Damit liegt der Spielball im Feld der Politik. Da sie sich anschickt, das Verbandssanktionenrecht grundlegend zu reformieren, ist nun der richtige Zeitpunkt gekommen, die Regeln der StPO zu ergänzen, die nicht auf Ermittlungen in und gegen Unternehmen zugeschnitten sind. Unser „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“ hat dazu Vorschläge unterbreitet und sich vor allem auch für eine weitgehende Privilegierung von Unterlagen über interne Untersuchungen entschieden. Unabhängig davon bedeutet die Entscheidung des BVerfG nicht das Ende sog. internal investigations: Spezialisierte Kanzleien haben sich schon jetzt – so gut es geht – auf die Gefahr einer Beschlagnahme eingestellt. In erster Linie bemühen sie sich darum, Durchsuchungen durch einen ständigen Austausch mit den Behörden zu vermeiden. Zum Schutz der Mitarbeiter und auch des Unternehmens fertigen sie schon seit längerem von Interviews keine Wortprotokolle mehr an. Manche sollen Akten und Daten mit Ergebnissen der Untersuchungen auch in ausländischen Büros verwahren, um den Zugriff zu erschweren. Der Gesetzgeber sollte dafür sorgen, dass derartige Vorsichtsmaßnahmen nicht mehr notwendig sind.