DER BETRIEB
Von künstlicher Intelligenz und menschlicher Dummheit

Von künstlicher Intelligenz und menschlicher Dummheit

RA/FAArbR Dr. Paul Melot de Beauregard

Digitalisierung und künstliche Intelligenz halten nun auch immer spürbarer Eingang in den Alltag der rechts- und steuerberatenden Berufe. Sie äußern sich in aktuellen Stichworten wie beA, digital due diligence und automatischer Vertragsanalyse. Manch einer fragt sich skeptisch, wo dies alles uns noch hinführen wird. Doch lassen Sie uns optimistisch in die Zukunft schauen!

RA/FAArbR Dr. Paul Melot de Beauregard
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Viel ist zu lesen über die voranschreitende Digitalisierung, über Legal Tech und künstliche Intelligenz. Während viele von uns noch aus den ersten Tagen ihrer beruflichen Karriere die Grand Seigneurs der Szene erinnern, die sich jede einzelne E-Mail durch ihre Sekretärin ausdrucken und vorlegen ließen mit der Aussage, „dies sei sowieso nur ein Kommunikationsweg für Sachbearbeiter“, lassen uns heute Datenschutz, beA und Co. leicht in ähnlicher Pose erscheinen. Dies jedoch freilich mit dem kleinen aber entscheidenden Unterschied, dass heute eine solche Aussage vermeintlich verdienter Selbstgefälligkeit nicht mehr mit einem Lächeln, ja nicht einmal mehr mit Kopfschütteln quittiert, sondern durch die rasante Entwicklung einfach links liegen gelassen würde. Ja, es ist wahr, ob Windows10 fortfolgende, ob Support-Lawyer und IT-Helpdesk im fernen Ausland, immer häufiger stellen die noch vor der Wiedervereinigung Geborenen fest, dass sie einfach keine digital natives sind.

Veränderung des Berufsbilds

Wie hat sich das Berufsbild des Rechtsanwalts nicht nur zu unseren Leb-, sondern vor allem zu unseren Arbeitszeiten verändert? Ein kurzer Rückblick: Die flächendeckende Einführung des Telefaxgerätes machte es Ende der 80iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts möglich, Mandate in unterschiedlichen Zeitzonen in Echtzeit zu bearbeiten. Erstmals wurden dadurch transatlantische Unternehmenskäufe zu realistisch managebaren Beratungsgegenständen.

Eine zweite Revolution stellte dann Mitte der 90er Jahre der zunehmende Umgang der Anwälte mit elektronischer Textverarbeitung und Ende der 90er Jahre die flächendeckende Einführung der E-Mail als deren Transportmittel dar. Nun war es möglich in Bruchteilen der Zeit umfangreiche, um nicht zu sagen der angelsächsischen Rechtstradition entsprechende Vertragskonvolute schnell, zuverlässig und transparent zu bearbeiten. Kam man morgens ins Büro, so fand man bereits den Formulierungsvorschlag der Gegenseite an der entsprechenden Vertragsstelle in der Inbox seines Computers. Störend waren bei solchen Vorgängen aber Abwesenheitszeiten wie Wochenende oder gar Urlaub. Diese Zäsuren anwaltlicher Arbeitswut konnten Mitte der Nuller-Jahre durch die Einführung von Smartphones der ersten Generation und der Möglichkeit des remote access schnell ausgemerzt werden. Nun hieß es nicht mehr bis Mitternacht im Büro auf eine E-Mail zu warten, sondern eine leichte Vibration in der Jackentasche signalisierte einem während des Kinofilms, dass das Bier danach heute ausfiele.

bEA, digital due dilligence & Co.

Die derzeitige Entwicklungsstufe der Digitalisierung zeichnet sich durch die Abschaffung von Post und Papier (Stichwort „beA“), die Entkopplung von Sachverhaltserfassung und Bewertungsvorgang (Stichwort „digital due diligence“) und der Automatisierung bzw. Standardisierung von weiten Bereichen des Vertragswesens aus. Nicht nur die Älteren unter uns fragen sich daher, wo dies den Anwaltsberuf noch hinführen soll.

Man kann zu dieser Frage verschiedene Haltungen einnehmen. Eine Möglichkeit ist es, Trübsal zu blasen. Hilfe hierbei liefert die Fachpresse mit manigfachen Beiträgen. So sah beispielsweise das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bereits Ende 2015 das Substituierbarkeitspotential bei den Rechtsberufen oberhalb von 18%. Aktuellere Zahlen bietet der durch dieses Institut betriebene Job-Futuromat (abzurufen unter www.job-futuromat.iab.de).

Digitalisierung als Unterstützung nutzen

Alternativ kann man die fortschreitende Digitalisierung aber auch bergrüßen und in seine täglichen Arbeitsabläufe positiv mit einbeziehen. Hier sind ein paar Gründe, warum man sich für diese zweite Variante entscheiden sollte:

  1. 1.

    Wenn man sich die Entwicklung des Rechts in Deutschland seit Inkrafttreten des BGB zum 01.01.1900 ansieht, so erkennt man einen Prozess ständiger Veränderung. Nicht umsonst heißt es daher über den Rechtsanwalt, dass er sich alle fünf Jahre neu zu erfinden hätte. Insofern stellt die Digitalisierung an uns keinen neuen Anspruch.

  2. 2.

    Der Prozess der Digitalisierung lässt sich durch Niemanden aufhalten. Insofern gilt: Lerne schätzen, was du nicht verändern kannst – besonders hier, denn: Jede Veränderung erzeugt Beratungsbedarf.

  3. 3.

    Es ist nicht die fortschreitende Digitalisierung, sondern häufig der Marketingansatz von uns selbst, der die anwaltliche Beratungsleistung als einen austauschbaren und von Einkaufsabteilungen quantifizierbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg darstellt. Wir sollten in unserer Praxis nicht den Beweis schuldig bleiben, dass es sich bei der anwaltlichen Beratung tatsächlich um „Dienste höherer Art“ (§ 627 BGB) bzw. einen „unabhängigen Beitrag zur Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) handelt.

  4. 4.

    Nicht umsonst haben wir einen Beruf ergriffen, dem eine lange Ausbildungszeit voranging. Erinnern wir uns im Sinne eines lifelong learnings also stets daran, wie schön es ist, jeden Tag dazulernen zu dürfen.

Über diese mag es noch zahlreiche weitere Gründe hinaus geben, die uns anspornen sollten, die Digitalisierung – allen IT- und Anlaufproblemen zum Trotz – als Hilfe und Unterstützung und vor allem Chance in unser Arbeitsleben einzubauen.

Richten sollte aber schließlich der Mensch

Am Ende aber sollte ein Gedanke uns in besonderer Weise gut schlafen lassen. Denn es ist wohl richtig, dass viele vormals juristische Entscheidungs- und Ablaufprozesse – z.B. im Versicherungswesen oder im Ordnungswidrigkeitenrecht – automatisiert und vollständig durch Allgorythmen übernommen werden. Das mag zum großen Teil sogar zu der in den 30iger Jahren von Kelsen und anderen angestrebten Gerechtigkeitsvermehrung in vergleichbaren Fällen führen. Nach einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom von Anfang diesen Jahres würden sich 10% der Bundesbürger bei einem Verkehrsunfall lieber einer KI als einem menschlichen Richter unterwerfen. Also lieber künstliche Intelligenz als menschliche Dummheit?

Es ist meine tiefe Überzeugung, dass es hierfür langfristig keine Mehrheiten geben wird. Auch in Zukunft werden es bei aller Leistungsstärke von Computern und zunehmend umfassender künstlicher Intelligenz Menschen nur akzeptieren durch Menschen beurteilt und am Ende gerichtet zu werden. Unser Justizsystem wird daher immer Menschen benötigen – gut ausgebildet und mit dem Willen zur konstruktiven Arbeit zum Wohle ihrer Mandanten und der Gesellschaft insgesamt.