DER BETRIEB
MwSt-Reformen: Nicht quick – aber nun zumindest fix!
Dauerbaustelle Umsatzsteuer hat einen neuen Bauabschnitt

MwSt-Reformen: Nicht quick – aber nun zumindest fix!

Dauerbaustelle Umsatzsteuer hat einen neuen Bauabschnitt

Dr. Carsten Höink

Das aktualisierte Reformpaket zur europäischen Mehrwertsteuer – die sog. „quick fixes“ – und andere Neuerungen sind beschlossen. Der Wandel in der Umsatzsteuer schreitet voran und Unternehmen sollten rechtzeitig die Auswirkungen und den Handlungsbedarf prüfen.

Dr. Carsten Höink
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Der Rat der Europäischen Union für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) hat am 02.10.2018 eine politische Einigung für Reformen des europäischen MwSt-Raums erreicht. Nach den Worten der EU vom 04.10.2017 ist es die „größte Reform der EU-MwSt seit einem Vierteljahrhundert“ – aber dennoch nur ein Baustein zur Umsetzung des „VAT Action plans“. Das MwSt-System benötige einen Umbau, um mit der Globalisierung und der Digitalisierung der Wirtschaft Schritt halten können. Zudem sei der Missbrauch und Betrug, insb. im grenzüberschreitenden Warenverkehr, wichtiger Treiber der Reformen. Nach einigem Hin und Her hat man nun zu den ersten der mehreren Reformpakete (auch bekannt als sog. „quick fixes“ u. a.) politische Einigung erzielt. Zum ersten Mal wird der europäische Mehrwertsteuerraum einheitliche Regelungen für das innergemeinschaftliche Reihengeschäft, für Lieferungen über Konsignationslager und für Nachweise für innergemeinschaftliche Lieferungen erhalten. Zudem wird ein generelles Reverse-Charge-Verfahren für Mitgliedstaaten, welche besonders stark vom Mehrwertsteuerbetrug betroffen sind, unter besonderen Voraussetzungen als Testphase bis zum 30.06.2022 erlaubt und für einige ermäßigte Steuersätze Einigung erzielt.

EU-Vereinfachung für Konsignationslager

Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Warenlieferungen, die über ein sog. Konsignationslager abgewickelt werden, besteht in der EU derzeit eine Vielzahl an unterschiedlichsten Regelungen. Einige Länder haben Vereinfachungen verschiedener Ausgestaltung und andere nicht. Gerade im grenzüberschreitenden Warenverkehr innerhalb des Binnenmarktes führt dies zu „Verwerfungen“ im Hinblick auf Deklaration, Registrierung und Rechnungsstellung.

Bei grenzüberschreitenden Warenverbringungen in ein Konsignationslager (Call off Stock) zum Verkauf an einen bereits bekannten Erwerber soll zukünftig unionsweit eine „direkte“ innergemeinschaftliche Lieferung des Lieferers an den Erwerber vorliegen. Letzterer hat sodann korrespondierend einen innergemeinschaftlichen Erwerb im Mitgliedstaat des Konsignationslagers zu erklären. Unter gewissen Voraussetzungen (u.a. einer Konsignationslagerregelung) und mit einer Frist zu Entnahme aus dem Lager von zwölf Monaten soll ein grenzüberschreitendes innergemeinschaftliches Verbringen irrelevant sein. Dies entspricht der Vereinfachungsregelung in einigen EU-Mitgliedstaaten und wird nun EU-weit Geltung erhalten. Allerdings sind auch neue Meldepflichten damit einhergehend. Diese Regelung verspricht auf den ersten Blick tatsächlich deutliche Vereinfachung.

Pflicht zur USt-IdNr. für Steuerbefreiung

Die Bedeutung der USt-IdNr. wird erhöht. Hatten der EuGH sowie der BFH in der Vergangenheit immer wieder bestätigt, dass die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung auch ohne gültige USt-IdNr. des Abnehmers (Kunden) zu gewähren sei, wenn feststeht, dass der Abnehmer ein Unternehmer/ jur. Person ist, so wird nun die USt-IdNr. zur materiell-rechtlichen Voraussetzung erhöht. Zukünftig ist für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung u.a. immer erforderlich, dass der Erwerber mit einer gültigen USt-IdNr. eines anderen EU-Mitgliedstaats auftritt. Zudem wird die Steuerbefreiung mit der Verpflichtung zur Meldung des Umsatzes in der Zusammenfassenden Meldung (ZM) verknüpft. Dies soll die Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs aufgrund der Deklarationen (über die ZM bzw. MIAS) erleichtern und damit Missbrauch unterbinden. Hier wird jeder Unternehmer technische Vorkehrungen treffen müssen. Aber auch die Finanzverwaltung wird erhebliche Anstrengungen vornehmen müssen, da derzeit das Bestätigungsverfahren für die USt-IdNr. regelmäßig an technische Grenzen stößt, welche in Zukunft für den Warenverkehr fatale Auswirkungen haben könnten.

Erstmalige Regelung eines innergemeinschaftlichen Reihengeschäfts

Die MwStSystRL kennt derzeit keine Reihengeschäfte. Daher ist es kaum verwunderlich, dass das existente Phänomen „Reihengeschäft“ in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt wird. Das Problem ist immer die Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen im Reihengeschäft, da die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung oder Ausfuhrlieferung eine grenzüberschreitende Warenbewegung voraussetzt und nur eine der (mehreren) Lieferungen im Reihengeschäft den einen Warentransport für sich beanspruchen kann. Das neue Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Lieferungen über denselben Gegenstand ausgeführt werden und der Liefergegenstand dabei im Rahmen der Beförderung oder Versendung aus einem Mitgliedstaat direkt zum letzten Abnehmer in einen anderen Mitgliedstaat gelangt.

Die Neuregelung bezieht sich damit nur auf Reihengeschäfte mit grenzüberschreitender innergemeinschaftlicher Warenbewegung. Die Neufassung regelt aber nur die Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen, wenn ein Mittlerer (jemand, der sowohl Abnehmer als auch Lieferer ist) den Transport für sich beansprucht. Grundsätzlich soll dabei die Eingangslieferung des Mittleren die warenbewegte Lieferung sein. Tritt der Mittlere mit der USt-IdNr. des Abgangslandes auf, so sei seine Ausgangslieferung die warenbewegte Lieferung. Die Transportveranlassung wird wohl weiterhin eine erhebliche Rolle spielen, da die Steuerbefreiung voraussetzt, dass eine Partei des Liefervorgangs befördert/versendet. Die neue Rechtslage ähnelt damit sehr der derzeitigen Verwaltungsauffassung.

Bedauerlicherweise nicht geregelt sind Einfuhr- oder Ausfuhrreihengeschäfte. Ausgenommen sind auch die neuen Fernverkäufe des Art. 14a MwStSystRL. So sehr es auch zu begrüßen ist, dass eine Regelung gefunden wurde, so ist die Abhängigkeit von der Transportveranlassung sowie die Beschränkung auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr für Unternehmen hinderlich.

Vermutungsregel für Nachweise

Durch Einführung eines Art. 45a MwStDVO (282/2011) wird eine Vermutungsregelung für die Nachweise der innergemeinschaftlichen Lieferungen eingeführt. Liegen zwei dieser einander nicht widersprechenden Nachweise vor, so ist die widerlegbare Vermutung geführt, dass die Waren ins EU-Ausland gelangt sind.

Generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft

Seit Jahren wird über die Bekämpfung des Karussellbetrugs mittels genereller Steuerschuldverlagerung auf den unternehmerischen Leistungsempfänger diskutiert. Nun ist den Mitgliedstaaten, welche besonders vom Missbrauch und Betrug im Bereich der MwSt betroffen sind, die Möglichkeit geschaffen, für einen bis zum 30.06.2022 befristeten Zeitraum eine generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden.

Abweichende Mehrwertsteuersätze bei elektronischen Veröffentlichungen

Im Rahmen der Schaffung eines „digitalen Binnenmarktes“ und mit dem Ziel einer Harmonisierung von Mehrwertsteuervorschriften hat die EU am 02.10.2018 politisch auch über eine Richtlinie zur Änderung der MwStSystRL in Bezug auf die Steuersätze für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften beschlossen, was auf den entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission vom 01.12.2016 zurückgeht. Für elektronische und für physische Veröffentlichungen wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, ermäßigte Steuersätze zu erheben.

Stärkung der Zusammenarbeit im Bereich der MwSt

Schließlich wurde förmlich eine Änderung der Verordnung zur Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer verabschiedet, auf die sich die EU bereits am 22.06.2018 i. S. einer allgemeinen Ausrichtung politisch verständigt hatte.

Fazit

Die Einigung war dringend erforderlich und ist zu begrüßen. Dennoch wird nun nicht alles einfach, aber einiges einfacher. Der „Zertifizierte Steuerpflichtige“ wurde mit den quick fixes nicht mehr verbunden. Aber aufgeschoben und nicht aufgehoben, ist die Erfolgsfigur des AEO aus dem Zollrecht derzeit lediglich für das Reformpaket „endgültiges System“ vorgesehen.

Da die Reformen zum 01.01.2020 umgesetzt sein sollen, ist sowohl die Finanzverwaltung als auch die Unternehmerschaft nun gefordert, die prozessualen und technischen Umsetzungen anzugehen. Problematisch – wie häufig – ist, dass die nationale Umsetzungsnorm noch auf sich warten lassen wird. Die Dauerbaustelle Umsatzsteuer hat also einen neuen Bauabschnitt.