DER BETRIEB
Das qualifizierte Freitextfeld ist Freund und nicht Feind des Steuerpflichtigen

Das qualifizierte Freitextfeld ist Freund und nicht Feind des Steuerpflichtigen

WP/StB Harald Elster

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens hat das „qualifizierte Freitextfeld“ Einzug in die Steuerformulare erhalten. Oftmals wird es nur als „Zeile 98“ bezeichnet, denn dort befindet es sich im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung. Die Befüllung wird in der Praxis vielfach als Zusatzbelastung angesehen und sorgt für Empörung – zu Unrecht!

WP/StB Harald Elster
hbfm_db_2018_46_m4_a_1284718_a001.png
Das 1x1 des qualifizierten Freitextfeldes

Für Veranlagungszeiträume ab 2017 müssen Steuerpflichtige bzw. ihre Berater, die Angaben oder Sachverhalte berücksichtigen wollen, die über die Angaben in der Steuererklärung hinausgehen, dies durch die Eintragung einer „1“ in Zeile 98 kenntlich machen und in einer Anlage erläutern. Die Eintragung sorgt dafür, dass die eingereichte Erklärung ausgesteuert und von einem Finanzbeamten geprüft wird. Ausweislich des Hinweises im Mantelbogen hat der Steuerpflichtige das Feld auch dann mit einer „1“ zu versehen, wenn er bewusst eine von der Verwaltungsauffassung abweichende Rechtsauffassung zugrunde legt.

Einige Berater äußerten Unmut über die Neuerung. Sie klagten über Zusatzverpflichtungen durch die Hintertür. Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) hat das qualifizierte Freitextfeld hingegen explizit gefordert. Um den steuerlichen Pflichten nachkommen zu können, ist es aus seiner Sicht zwingend notwendig.

Reichweite der Offenbarungspflichten durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Auslöser ist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1999 (5 StR 221/99, RS0786507, Rz. 25, 26). Der BGH hat darin die Vorgaben zur Offenbarungspflicht der Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung wie folgt konkretisiert: Da sich hinter mitgeteilten Zahlen in der Steuererklärung die verschiedensten Sachverhalte verbergen können, die für das Finanzamt nicht erkennbar sind, besteht zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die von dem Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweiche.

Notwendigkeit des qualifizierten Freitextfeldes im vollständig automationsgesteuerten Veranlagungsverfahren

Mit der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens verankerte der Gesetzgeber die Möglichkeit des vollautomatisierten Veranlagungsverfahrens. Finanzbehörden können u. a. Steuerfestsetzungen auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen und der Angaben des Steuerpflichtigen ausschließlich automationsgestützt vornehmen (§ 155 Abs. 4 AO). Das bedeutet, dass ein Finanzbeamter zusätzlich eingereichte Unterlagen bzw. Schreiben nicht beachtet. Die Veranlagung basiert in diesen Fällen grundsätzlich nur auf den Angaben und Zahlen in dem Steuererklärungsformular.

Vor dem Hintergrund der oben angegebenen Rechtsprechung könnten Steuerpflichtige ihre Offenbarungspflichten in diesen Fällen nicht hinreichend wahrnehmen. Sie und ihre Berater würden in steuerstraf- und haftungsrechtliche Risiken gedrängt. Erst wenn der Steuerpflichtige in die Lage versetzt wird, den automationsgestützten Vorgang zu unterbrechen und eine personelle Prüfung zu veranlassen, kann er seine Pflichten hinreichend erfüllen.

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kritisierte der DStV daher nachdrücklich, dass diese Aussteuerungsmöglichkeit durch den Steuerpflichtigen ursprünglich nicht vorgesehen war. Diese Kritik wurde gehört. Der Gesetzgeber griff sie auf und implementierte gesetzlich das Freitextfeld (§ 150 Abs. 7 Satz 1 AO). Es ermöglicht dem Steuerpflichtigen bzw. seinem Berater, Angaben zu machen, die über die Abfragen des Formularsatzes hinausgehen. Durch das Nutzen des Feldes und der entsprechenden Abgabe einer Anlage mit der Überschrift „Ergänzende Angaben zur Steuererklärung“ kann der Steuerpflichtige weitere oder abweichende Angaben oder Sachverhalte erklären. Dank des Freitextfeldes kann er seinen gesetzlichen und vom BGH konkretisierten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 1 Satz 2 AO nachkommen und das steuerstrafrechtliche Risiko reduzieren.

Hinweistext in Zeile 98 beschert keine neuen Pflichten

Die partielle Kritik aus dem Berufsstand, aus dem Hinweistext würden zusätzliche steuerliche Pflichten erwachsen, weil das Abweichen von der Verwaltungsauffassung kenntlich gemacht werden müsse, springt also zu kurz. Der Hinweistext spiegelt lediglich die hierzu ergangene, oben genannte Rechtsprechung wider. Aus dem BMF ist zu vernehmen, dass unter der „Verwaltungsauffassung“ Folgendes zu verstehen ist: Die Richtlinien, die im BStBl. veröffentlichten BMF-Schreiben und BFH-Entscheidungen, die amtlichen Anleitungen zur Einkommensteuererklärung und das Einkommensteuerhandbuch sowie die amtlich veröffentlichten Verwaltungsanweisungen des jeweiligen Landes.

Demgemäß fordert die Finanzverwaltung nicht mehr als das, was die Rechtsprechung bereits 1999 vorgegeben hat. Die bisherigen Überlegungen, welche Erläuterungen zusätzlich zur (elektronischen) Steuererklärung eingereicht werden, dürften sich insofern nicht ändern.

Ein Wermutstropfen bleibt

Den Berater trifft mit dem qualifizierten Freitextfeld zunächst kein neues Haftungsrisiko. Nur ein bewusstes, also vorsätzliches Abweichen kann dem Steuerpflichtigen bzw. seinem Berater zum Nachteil ausgelegt werden. Nimmt ein Berater hingegen versehentlich zugunsten seines Mandanten eine von der Finanzverwaltungsauffassung abweichende Würdigung vor, haftet er hierfür nicht. Werden solche Fälle etwa in Betriebsprüfungen aufgegriffen, dürfte es zwar regelmäßig zu Nachzahlungen kommen. Der finanzielle Nachteil wäre allerdings ein zeitlich nach hinten Verschobener. Wäre die abweichende Auffassung zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung kenntlich gemacht worden, hätte das Finanzamt dies bereits bei der Veranlagung zulasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt. Durch die erst spätere Berichtigung kann ein Zinsschaden entstehen, welcher der nachgelagerten Betriebsprüfung immanent ist.

Für Veranlagungszeiträume ab 2017 gilt bekannterweise keine Belegvorlagepflicht mehr. Stattdessen gilt die Belegvorhaltepflicht. Übermittelt ein Berater freiwillig Belege, führt dies im vollautomatischen Veranlagungsverfahren nicht zu einer Aussteuerung der Erklärung. Erste Stimmen aus der Literatur werfen die Frage auf, ob diese freiwillig übermittelten Belege i.S.d. § 173 AO als bekannt gelten – und verneinen dies. Danach bestünde im Nachhinein eine Änderungsmöglichkeit. Berater, die in diesen Fällen zu 100% sichergehen wollen, müssten das Freitextfeld nutzen und in ihrer Anlage explizit auf die Belege verweisen. Hier wünscht sich der DStV eine Klarstellung im Anwendungserlass. Freiwillig mit der Steuererklärung übermittelte Belege sollten unabhängig von der Nutzung des Freitextfeldes als bekannt gelten.