DER BETRIEB
Verwaltungsmodernisierung – bald auch zugunsten der Steuerpflichtigen?

Verwaltungsmodernisierung – bald auch zugunsten der Steuerpflichtigen?

RiBFH Dipl.-Kfm. Prof. Dr. iur. Gregor Nöcker

Mit dem Steuermodernisierungsgesetz vom 18.07.2016 hat der Gesetzgeber mit § 173a AO eine neue Korrekturvorschrift im Zusammenhang mit der angestrebten Digitalisierung der Steuerfestsetzung eingeführt. Sie ermöglicht, anders als die im bisherigen Verfahren einschlägige Vorschrift des § 129 AO, keinerlei Korrektur der digitalen (Elster-) Steuererklärungen durch den Steuerpflichtigen, wenn dieser sich bei der Eingabe seiner Daten vertan hat – obwohl er nunmehr die Erfassungsarbeiten des Finanzamts übernehmen darf.

RiBFH Dipl.-Kfm. Prof. Dr. iur. Gregor Nöcker
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Die offenbare Unrichtigkeit des § 129 AO bei der Erfassung von Daten im Finanzamt

Gibt der Steuerpflichtige eine Steuererklärung in Papierform beim Finanzamt ab, ist es dessen Aufgabe, die Angaben des Steuerpflichtigen digital zu erfassen. Soweit der Finanzbeamte bei dieser Übertragung bzw. Eingabe Fehler macht, kommt die Anwendung des § 129 AO in Frage. Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts, also auch eines Steuerbescheids, unterlaufen sind, jederzeit innerhalb der Verjährungsfrist berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist nach § 129 Satz 2 AO zu berichtigen (vgl. insoweit nur BFH vom 17.05.2017 – X R 45/16, RS1255120 = BFH/NV 2018 S. 10, Rz. 24-26a). Zu den offenbaren Unrichtigkeiten i.S.d. § 129 AO gehören Eingabe- oder Übertragungsfehler, soweit sie nur auf einem mechanischen Versehen beruhen. Dagegen sind Auslegungs- und Rechtsanwendungsfehler wie auch Fehler bei der Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines so nicht vorliegenden Sachverhalts nicht als offenbare Unrichtigkeit anzusehen. Entscheidend ist die Sicht eines objektiven Dritten (BFH vom 18.06.2014 – X B 222/13, RS0768723 = BFH/NV 2015 S. 805, Rz. 19). Insb. Flüchtigkeitsfehler, wie sie auch in der Finanzverwaltung vorkommen, können berichtigt werden (bzw. sind zu berichtigen), um so der materiellen Gerechtigkeit in Form der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Vorrang vor der Rechtssicherheit in Form des Vertrauensschutzes zu geben (BFH vom 04.03.2015 – X B 39/14, RS1047105 = BFH/NV 2015 S. 805). „Offenbar“ ist ein solcher Fehler schon, wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig und bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (BFH vom 04.03.2015, a.a.O., Rz. 18). Trotz der im Einzelfall durchaus schwierigen Entscheidung, ob die Korrekturmöglichkeit des § 129 AO gegeben ist (vgl. insoweit weiterführend z.B. Nöcker, DStR 2018 S. 1417), handelt es sich im Anwendungsbereich des § 129 AO also um Fehler von Finanzbeamten, die „ohne Verstand“ geschehen sind. Hierunter fällt i.Ü. auch ein sog. Übernahmefehler, bei dem sich das Finanzamt den mechanischen Fehler des Steuerpflichtigen zu eigen macht (vgl. z.B. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 129 AO Rz. 14, Stand: Aug. 2018).

Die Digitalisierung der Steuererklärung und der Eingabefehler des Steuerpflichtigen

Im Rahmen der digitalen Steuerfestsetzung übernimmt nun (vermehrt) der Steuerpflichtige die Eingabe der Daten, häufig mit Hilfe des ELSTER-Programms. Die sog. personelle Veranlagung durch einen Finanzbeamten entfällt, da (jedenfalls im Endstadium) nur noch eine automatisierte Veranlagung der Steuerpflichtigen vorgesehen ist. Steuererklärungen in Papier nebst Belegen sind beim Finanzamt nicht mehr einzureichen. Lediglich auf Anforderung des Finanzamt kommt es zur Vorlage von Unterlagen. Mit dem Übergang hin zur automatisierten Steuererklärung entfällt auch die Korrekturmöglichkeit des § 129 AO, da kein Finanzbeamter im Rahmen der Veranlagung grds. tätig wird und folglich auch keine mechanischen Fehler mehr machen kann. Um diese Lücke zu schließen, hat der Gesetzgeber im Steuermodernisierungsgesetz vom 18.07.2016 (a.a.O.) unter Bezugnahme auf § 129 AO den neuen § 173a AO geschaffen. Dieser soll neben Schreib- und Rechenfehlern auch die fehlerhaften und vergessenen Übertragungen umfassen (BT-Drucks. 18/7457 S. 87). Im Wortlaut des § 173a AO ist dennoch nur von den bei der Erstellung der Steuererklärung (vom Stpfl.) unterlaufenen Schreib- und Rechenfehlern die Rede. Schreibfehler sind Rechtschreib-, Wortstellungs-, Wortverwechselungs- und Auslassungsfehler; Übertragungsfehler wie auch Eingabefehler sind keine solchen Fehler (Nöcker, AO-StB 2017 S. 317). Sie sind auch keine Rechenfehler, da hierunter nur mechanische Versehensfehler im Bereich der Grundrechenarten und des Prozentrechnens zu verstehen sind (so zu Recht Bruschke, StB 2017 S. 187). Folglich erscheint § 173a AO (bewusst) unvollständig. Hintergrund hierfür dürften Beweislastfragen sein. Denn das FA wird den schlüssigen Vortrag des Steuerpflichtigen, sich beim Erstellen der digitalen Steuererklärung lediglich (mechanisch) vertan zu haben, nur schwer widerlegen können. Ein wesentlicher Unterschied zum Fall der Flüchtigkeitsfehler im Zusammenhang mit § 129 AO, der sich stattdessen bislang in der Sphäre des Finanzamts abspielte, ist jedoch nicht zu erkennen.

Zeit für eine Gesetzesergänzung

Nicht nur aus Gründen der Fairness, sondern auch, um im Interesse des Steuerpflichtigen eine langjährige Diskussion zu Fragen rund um die mechanischen Fehler zu beenden, ist es geboten, im Rahmen der nun anstehenden Sacharbeit in den politischen Gremien dem Steuerpflichtigen nicht nur die (bisherigen) Erfassungsarbeiten des Finanzamts, sondern auch dessen umfangreiche Korrekturmöglichkeit im Zusammenhang mit Flüchtigkeitsfehlern auf ihn zu übertragen. Erst in diesem Fall ist eine gleichmäßige Risiko- und Lastenverteilung zwischen Steuerpflichtigen und Finanzamt gewahrt. Diese Korrekturmöglichkeit wird, da sie an die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 2 Satz 2 AO gekoppelt ist, nicht unendlich, sondern (ohne Einspruchsverfahren) auf ein Jahr begrenzt, also i.d.R. bis zur Erstellung der „nächsten“ Jahressteuererklärung sein. Wird vor Ablauf dieser Jahresfrist ein Antrag auf Änderung nach § 173a AO gestellt, ist nach § 171 Abs. 3 AO die Festsetzungsfrist bis zur unanfechtbaren Entscheidung gehemmt. Gleichzeitig wird dem Vorrang der materiellen Gerechtigkeit Genüge getan und insb. dem Steuerpflichtigen, der ohne Berater seiner Erklärungspflicht nachkommt, das Gefühl vermittelt, nicht rechtsgrundlos Steuern zahlen zu müssen, die ihn eigentlich nicht belastet hätten, hätte er „nur“ besser aufgepasst.