DER BETRIEB
Jahresurlaub: Neue Spielregeln seitens des EuGH für Arbeitgeber
Nach der DSGVO zum Jahresbeginn, ein weiterer Paukenschlag für Unternehmen zum Jahresende

Jahresurlaub: Neue Spielregeln seitens des EuGH für Arbeitgeber

Nach der DSGVO zum Jahresbeginn, ein weiterer Paukenschlag für Unternehmen zum Jahresende

RA/FAArbR Philipp Meese

Am 06.11.2018 hat der EuGH festgestellt, dass „ein Arbeitnehmer seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Urlaub nicht automatisch deshalb verlieren darf, weil er keinen Urlaub beantragt hat.“ Damit bricht nicht nur ab sofort eine der tragenden Säulen des deutschen Urlaubsrechts weg, sondern vielmehr werden Arbeitgeber zum unmittelbaren Handeln gezwungen.

RA/FAArbR Philipp Meese
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Viele Arbeitgeber sind sich sicher, dass ihre Arbeitnehmer zumindest eines fest im Blick haben: ihr Urlaubskonto. Tatsächlich zeigt die Praxis, dass Arbeitnehmer in Deutschland sehr genau wissen, wo sie (urlaubs-)rechtlich stehen und insoweit auch Kenntnis von dem bis zuletzt in Deutschland seit jeher geltenden Grundsatz hatten, wonach nicht genommener Urlaub am Jahresende ersatzlos entfallen ist.

Dass ein Arbeitnehmer Urlaubstage aus Angst vor „Maßnahmen des Arbeitgebers“ verfallen lässt oder das in der Annahme tut, sich den nicht genommenen Urlaub versilbern lassen zu können, entspricht kaum der Realität. Das sieht der EuGH-Generalanwalt Yves Bot anders. Er plädierte daher in seinen Schlussanträgen der Rechtssache Max-Planck-Gesellschaft ./. Shimizu (Rs. C-684/16) dafür, Arbeitgeber unionsrechtlich zu verpflichten, „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich ausüben kann“. Kann ein Arbeitgeber solche Maßnahmen nicht nachweisen, solle der von den Mitarbeitern nicht beantragte Urlaub nicht am Jahresende verfallen, sondern vielmehr bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses von den Arbeitgebern finanziell auszugleichen sein. Dieser Empfehlung des Generalanwalts folgte der EuGH nun in vorbenannter Angelegenheit sowie auch in der Parallelsache „Kreuzinger“ (Rs. C-619/16). Damit steht das bisherige deutsche Urlaubsrecht auf dem Kopf, zumindest in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Im Einzelnen:

Die bisherige klare Rechtslage

Auch wenn es im Zusammenhang mit deutschem Urlaubsrecht schon immer viele streitige Fragen gab, war bisher eines klar: Nahm ein Arbeitnehmer seinen jährlichen Urlaub nicht bis zum Jahresende, verfiel er ersatzlos. Eine Übertragung des (Rest-)Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr erfolgte nur, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe (z.B. Krankheit) dies rechtfertigten oder es eine entsprechende Vereinbarung mit dem Mitarbeiter, dem Betriebsrat oder der Gewerkschaft gab. Zudem hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG (vom 11.04.2006 – 9 AZR 523/05, DB 2006 S. 1961) Ersatzurlaub als Schadensersatz zu leisten, wenn er den vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub ohne berechtigten Grund nicht gewährt hatte und der Urlaub nur deshalb am Jahresende verfallen ist. Das entsprach zwar nicht rechtlich, jedoch faktisch einer Urlaubsübertragung. Weitere Übertragungstatbestände gab es nicht, was mit dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 BUrlG korrespondiert(e). Vorstehende klare Rechtslage ist seit dem 06.11.2018 passé. Was ist passiert?

Meinungsstreit zwischen den nationalen Landesarbeitsgerichten

In der jüngeren Vergangenheit war zwischen den deutschen Landesarbeitsgerichten ein Streit darüber entbrannt, ob ein Arbeitnehmer nicht nur dann einen Anspruch auf Ersatzurlaub habe, wenn sich der Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung im Verzug befindet, sondern gemäß § 280 Abs. 1 u. 3 BGB, § 283 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB auch dann, wenn der Arbeitgeber dem Mitarbeiter nicht von sich aus rechtzeitig vor Jahresende den ihm zustehenden Jahresurlaub gewährt hat. Unter anderem vertrat auch das LAG München in seinem Urteil vom 06.05.2015 (8 Sa 982/14, RS1193886) exakt diese Auffassung mit europarechtlicher Argumentation sowie einer Auslegung des § 7 BUrlG.

BAG-Revisionsverfahren/EuGH-Vorlagebeschlussverfahren

Das BAG hat derzeit in der Revisionsinstanz (9 AZR 541/15) über das Urteil des LAG München zu befinden. Obgleich die Revisionsentscheidung noch aussteht, stand schnell fest, dass das Urteil des LAG München im Widerspruch zu der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BAG steht. So stellte das BAG erst im Jahre 2011 (BAG vom 15.09.2011 – 8 AZR 846/09, DB 2012 S. 808) klar: „Hat der Arbeitnehmer keine Urlaubswünsche angemeldet, so ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer anzuhören oder seine Urlaubswünsche zu erfragen, um den Urlaubszeitraum von sich aus zu bestimmen.“

Das BAG beharrte allerdings nicht einfach auf seiner bisherigen klaren Linie, sondern griff die von dem LAG München angeführte europarechtliche Argumentation auf und wollte diese von dem dafür zuständigen Organ geklärt wissen, dem EuGH. Zu diesem Zweck bat das BAG den EuGH im Wege eines Vorlagebeschlusses unter anderem um Beantwortung der Frage, ob Art. 7 der RL 2003/88/EG bzw. Art. 31 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta „einer nationalen Regelung wie der in § 7 BUrlG entgegen (steht), die als Modalität für die Wahrnehmung des Anspruchs auf Erholungsurlaub vorsieht, dass der Arbeitnehmer unter Angabe seiner Wünsche bezüglich der zeitlichen Festlegung des Urlaubs diesen beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht und die den Arbeitgeber damit nicht verpflichtet, von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums festzulegen?“

In Bezug auf den Inhalt von § 7 BUrlG wich das BAG allerdings keinen Deut von seiner bisherigen Position ab und erteilte dem LAG München in seinem Vorlagebeschluss eine klare Absage: § 7 BUrlG kann nicht so ausgelegt werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer die bezahlte Freistellung aufzuzwingen, um so den Anspruchsverlust am Ende des Bezugszeitraums zu verhindern.“

Die Antwort des EuGH

Nun liegt die Antwort des EuGH in Form des Urteils vom 06.11.2018 vor; und die hat es in sich. Das Urteil (gleichermaßen in der Parallelsache „Kreuzinger“) ist nicht nur wegen seiner Begründung bemerkenswert, sondern es sprengt aufgrund seiner Komplexität auch den Rahmen dieses Formats. Unabhängig davon, ob einen die umfangreiche Begründung überzeugt oder nicht, steht jedenfalls fest, dass die Entscheidung erhebliche Bedeutung für das deutsche Urlaubsrecht hat. Denn danach darf „ein Arbeitnehmer seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Urlaub nicht automatisch deshalb verlieren darf, weil er keinen Urlaub beantragt hat.“ Zudem dürfen deutsche Gerichte in einem Urlaubsrechtstreit keine nationalen Regelungen anwenden, wenn diese nicht im Sinne vorstehender Vorgabe auslegbar sind. Damit ist § 7 Abs. 3 BUrlG wohl Geschichte.

Und nun? Handeln!

Glücklicherweise lässt der EuGH Arbeitgebern einen schmalen Notausgang, indem er neben vorzitiertem Paukenschlag zudem ausführt, dass Urlaubsansprüche dann untergehen können, „wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber z.B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, was der Arbeitgeber zu beweisen hat.

Diese Chance sollten Arbeitgeber unbedingt nutzen, obgleich der EuGH die für Unternehmen akute Frage, was denn eine „angemessene Aufklärung“ ist, (natürlich) nicht beantwortet. Es ist zu hoffen, dass sich im nächsten Schritt das BAG hierzu positioniert. Gleiches gilt für alle weiteren sich nun stellenden juristischen sowie operativen Anschlussfragen, z.B. für welche Dauer während des Arbeitsverhältnisses nicht genommener Urlaub finanziell auszugleichen sein soll (Stichwort: 15-Monate-Deckelung; BAG vom 07.08.2012 – 9 AZR 353/10, DB 2012 S. 2462). Es bleibt spannend, und zwar sicherlich noch einige Zeit.