DER BETRIEB
Betriebsbereiter Zustand von Systemen der künstlichen Intelligenz

Betriebsbereiter Zustand von Systemen der künstlichen Intelligenz

WP/StB/CPA Prof. Dr. Rüdiger Loitz

Der betriebsbereite Zustand ist Voraussetzung für den Ansatz von Vermögen in der Bilanz. Systeme der künstlichen Intelligenz werden mit agilen Methoden entwickelt und folgen nur schwer der bisherigen Definition von Betriebsbereitschaft. Die Agilität der Standardsetter wird bei der Kriteriensuche für den Ansatz dieser Systeme auf die Probe gestellt.

WP/StB/CPA Prof. Dr. Rüdiger Loitz
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Allen Fragen für den Ansatz von Vermögenswerten, Vermögensgegenständen und Wirtschaftsgütern geht voraus, dass sie sich in einem sog. „betriebsbereiten Zustand“ befinden. Der Begriff des betriebsbereiten Zustands fand 1975 mit dem Entwurf für ein EStG in dem damaligen § 28 Abs. 1 EStG Eingang ins Steuerrecht und wurde über das Bilanzrichtliniengesetz weitgehend in das Handelsrecht übertragen. Die IFRS machen in IAS 16 vor der Eingangsdefinition keinen Halt, nach der ein Vermögenswert im Zuge der Anschaffung in den erforderlichen, vom Management beabsichtigten, betriebsbereiten Zustand zu bringen ist. Zielsetzung des betriebsbereiten Zustands ist es, den Anschaffungsvorgang so lange erfolgsneutral und steuerneutral zu stellen, bis der betreffende Vermögenswert in seiner Zweckbestimmung genutzt werden kann. Im Umkehrschluss ist festzuhalten, dass der reine Erwerb nicht automatisch einen betriebsbereiten Zustand beinhaltet. Die Betriebsbereitschaft ist ein „mehr“, nämlich zur Nutzung des Vermögens. Adler/Düring/Schmaltz stellen heraus, dass der Begriff der „Betriebsbereitschaft“ vor allem im Zusammenhang mit Gegenständen des Sachanlagevermögens verwendet wird.

Zerlegt man den Begriff des „betriebsbereiten Zustands“, erscheint der „Betrieb“ schon ein wenig altmodisch. Niemand würde wohl Google oder Apple, auch nicht deren Teile, einen „Betrieb“ nennen. „Betrieb“ klingt nach klassischer Fertigung, die Erstehungszeit des Begriffs war unstreitig hierdurch geprägt. „Bereit“ muss nicht „fertig“ sein, sondern „zur Nutzung“ fähig. Ein Unternehmen sollte einen Vorteil aus dem betriebsbereiten Vermögen generieren können. Die Betriebsbereitschaft sollte beendet sein, wenn die Inbetriebnahme erfolgt ist, Kosten eines „Probelaufs“ sind nicht Teil der Anschaffungskosten. Bei dem Begriff „Zustand“ wird man an die Aggregatzustände „fest“, „flüssig“, „gasförmig“ erinnert. Dies legt erneut die Nähe zur Fertigung nahe.

Vom Grundsatz scheint damit alles geregelt, wäre da nicht die Digitalisierungswelle mit einer nahezu unendlich großen Anzahl von Geschäftsmodellen und damit verbundenen neuen Technologien, u.a. der zunehmenden Nutzung von künstlicher Intelligenz.

Grenzen zwischen Forschung und Entwicklung verwischen

Ungünstig hieran ist es nämlich, dass gerade diese Technologien so wenig einer tradierten Fertigung folgen möchten. Ihre Entwicklungen sind nicht in Projekten verankert, bekannt als Wasserfall-Methode, sondern agil. Und für agile Methoden ist es i.d.R. vollständig unklar, wann ihre Ergebnisse „fertig“ sind, noch weniger, wann sie sich „in einem betriebsbereiten Zustand“ befinden. Das IDW versucht mit IDW RS HFA 11 zu helfen. Aber der Standard orientiert sich gleichermaßen an der Wasserfall-Methode. Eine Betriebsbereitschaft würde vorliegen, wenn die unternehmensspezifischen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Software erfüllt werden. Und genau diese Definition der Anforderungen fällt gerade so schwer, sie ist geradezu unmöglich, und sie ist zudem noch nicht einmal beabsichtigt. Wenn man so möchte, bekommt nahezu jedes Projekt zur Entwicklung von Software im High-Tech-Bereich einen erheblichen Schwenk in Richtung Forschung und der Übergang in die eigentliche Entwicklung, die anschaffungsnah wäre, ist geradewegs fließend. Die bisher definitorisch „recht klar“ zu unterscheidende Grenze zwischen Forschung und Entwicklung, die fertigungsbezogen war, verwischt in der heutigen Bilanzierungswelt.

Künstliche Intelligenz basiert auf einem Grundstock von Algorithmen, die in der einfachsten Form nur die einfachsten Fälle lesen kann, z.B. das Auslesen völlig standardisierter Leasingverträge. Das Besondere an Deep Learning ist, dass ein solches System der künstlichen Intelligenz durch das Annotieren von Verträgen zunehmend lernt, Daten aus für das System fremden Leasingverträgen zu erkennen und zu verarbeiten. Das System wird darauf trainiert, sensitiv neue Vertragskonstellationen auszulesen. Dies ist weit von dem durch das IDW genannten Customizing entfernt, das Teil der Anschaffung ist. Viel schlimmer, Systeme lernen durch Daten und nun muss im Grunde die Bewertung von Daten und Datengenerierungsprozessen in den Anschaffungsvorgang einbezogen werden. Umso mehr KI-Systeme demnach „sensitiv“ auf ihren Input reagieren, desto weniger reagiert der Begriff des betriebsbereiten Zustands auf die künstliche Intelligenz. Wir und die Standardsetter sind damit gut beraten, sich Gedanken über die neue „Betriebsbereitschaft“ zu machen und das bisherige Bilanzierungssystem i.S.v. disruptiven Überlegungen insb. in diesem Bereich vollständig in Frage zu stellen. Denn eines ist klar, die künstliche Intelligenz wird uns in der Bilanzierung beschäftigen, ob wir dies möchten oder nicht.

Objektivierung im Vordergrund

Die Objektivierung wird dabei im Vordergrund stehen. Finanzberichterstattung dient dem Vertrauensschutz, der Vergleichbarkeit von Substanz und Potenzialen. Für den ersten Ansatz sollten die Kriterien zur Bewertung von anderen immateriellen Vermögenswerten zu Rate gezogen werden. Sie könnten auf die KI-Systeme, die z.B. ähnlich wie ein Kundenstamm auf Daten basieren, analysiert werden. Zur Objektivierung des (Vermögens-)Ansatzes eines Systems der künstlichen Intelligenz könnte die Erkennungsquote der Systeme einen objektivierten Anhaltspunkt bieten. In Anlehnung an das Kriterium „probable“ würde ein System, das mehr als 50% von Daten erkennt bzw. verarbeiten kann, in den Ansatz fallen. Damit wäre das System zunächst einmal betriebsbereit. Natürlich sind höhere Quoten wünschenswert und jedes System wird weiter trainiert. Die Kosten für das weitere Training der Systeme, um eine höhere Erkennungsquote zu erreichen, sollten als Aufwand qualifiziert werden. Hierdurch wird weder etwas „Zusätzliches“, etwas „Anderes“ oder etwas „Neues“ geschaffen. Die Betriebsbereitschaft wird durch das Training erweitert, optimiert – und das laufend. Vergleichsweise zu traditioneller Software wäre es ein laufendes Neuversionieren, etwas, das die bisherige Softwarenentwicklung nicht kannte.

Bei dem agilen Vorgehen ist zu beachten, dass die Kostenerfassungssysteme darauf einzustellen sind, für die Entwicklung angefallene Kosten „zu parken“ und ggf. bei erfolgreicher Nutzung des Ergebnisses und Nutzungsstiftung für das Unternehmen zu aktivieren sind. Damit ist es im Gegensatz zu der bisherigen Softwareentwicklung nicht von Beginn an klar, ob ein Ansatz erfolgt.

Hieraus folgt zwangsläufig, dass wir in Unternehmen ein anderes Vermögen in den Bilanzen sehen werden. Es gestaltet sich erheblich volatiler als bisher. Zugänge, Abgänge, Wertberechtigungen werden der Normalfall sein, nicht wie in der Fertigung die recht statische alleinige Anschaffung und Abschreibung bis zum Ende der Nutzungszeit. Es ist gewissermaßen ein Spiegel unserer Zeit, in der Volatilität eine neue Bedeutung bekommt.

Nutzungsdauern unterliegen der dauerhaften Überprüfung und werden im Laufe der Nutzungszeit regelmäßig angepasst. Dies ist der Weg in eine Bilanzierung, die wir in dieser Form nicht kannten, flexibel, volatil, mit einem ständigen Bedarf, die Annahmen zu validieren. Eine spannende Zeit, in der die Agilität der Standardsetter auf die Probe gestellt wird.