DER BETRIEB
Anthony de Jasay als libertärer Kritiker der Fair-Value-Bilanzierung

Anthony de Jasay als libertärer Kritiker der Fair-Value-Bilanzierung

PD Dr. Andreas Haaker, CIIA, CEFA

Nachfolgend wird an die libertäre Kritik des kürzlich verstorbenen großen Freiheitsphilosophen und Ökonomen Anthony de Jasay an der Fair-Value-Bilanzierung erinnert, welche er im Zuge seiner Verteidigung der freien Marktwirtschaft nach der Finanzkrise vorbrachte.

PD Dr. Andreas Haaker, CIIA, CEFA
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Am 23.01.2019 verstarb mit Anthony de Jasay (1925-2019) ein großer liberaler Freigeist und Individualist, der ein bemerkenswertes „Life in the Service of Liberty“ (Radnitzky, The Independent Review 2004 S. 99-103) führte. Als universitäts- und – damit vor allem – staatsunabhängiger Privatgelehrter veröffentlichte er zahlreiche kritische Bücher und Artikel über Politik, Staat und Bürokratie, deren freiheits-, weil marktbeschränkendes Wirken er unbeirrt mit logischer Stringenz und erstaunlicher Sachlichkeit geißelte.

Eines seiner Themen war die nach der Finanzkrise entfesselte und fortwährend hemmungs- und vernunftlose daherkommende „Jagd auf die freie Marktwirtschaft“, zumal Deregulierung den „Leitartiklern, freischaffenden Publizisten und linksorientierten Ökonomen […] schon immer ein Dorn im Auge“ war, denn seit „je haben sie das gehasst, was sie die freie Marktwirtschaft nennen“ (Jasay (2009), NZZ vom 30.04.2009, Abruf: http://hbfm.link/4833). Anstelle der scheinbar versagenden Marktwirtschaft „will man nun den starken Arm und die helfende Hand des Staates heranziehen, um den billionenschweren Schaden zu beheben, den wild gewordene Banker angerichtet haben“ (Jasay (2009)).

Unheilvolles ineinandergreifen von Eigenmittelvorschriften und Fair-Value-Bilanzierung

Ein Versagen der Marktwirtschaft und damit einhergehender „Laisser-faire-Regeln“ in der Finanzkrise vermochte Jasay (2009) indes nicht zu erkennen. Vielmehr ist „die Unterminierung des Bankensystems und damit auch der ganzen Industrie und des Handels nicht auf mangelnde Regulierung zurückzuführen […], sondern auf die hybride Natur der bisherigen Regulierungen, die ein Sammelsurium widersprüchlicher Vorgaben darstellen.“ Damit meinte er vor allem das unheilvolle ineinandergreifen von Eigenmittelvorschriften und der Fair-Value-Bilanzierung der IFRS.

Jasays (2009) erster Kritikpunkt einer Fehlregulierung richtet sich gegen Eigenkapitalvorschriften, nach denen die Bank gleichsam „immer 100 € als Notvorrat in der Tasche haben soll“, was zwar jenseits (impliziter) Staatsgarantien im Vorfeld einer Krise gewisse gegensteuernde Anreize setzen mag, jedoch folgende logische Wirkung hat: „Da man diese Reserve nie brauchen darf, läuft es eigentlich darauf hinaus, dass man diese Euro gar nicht hat. Sollte man in Not kommen, müsste man zuerst das Hemd verkaufen, bevor man die Reserve nutzen dürfte.“ Die zentrale Kritik triff dann aber die IFRS-Rechnungslegung: „Und nun kombiniere man diese Eigenmittel-Vorgabe mit den Bewertungsvorschriften, die die Banken dazu zwangen, die toxischen Papiere in ihren Bilanzen gemäss der «mark to market»-Regel zu bewerten und somit praktisch abzuschreiben, als der Markt dafür eine Zeitlang einfach verschwand – unter anderem weil niemand die letzten 100 € brauchen konnte. Die sich überlagernden Wirkungen der zwei Regeln waren stark genug, um das Bankensystem zu ruinieren“ (Jasay (2009)).

Denen, die meinen, die Fair-Value-Regulierung des IASB, die ja nicht nur eine monopolistische, sondern durch die Übernahme ins EU-Recht im Grunde eine Art (super-)staatliche ist, diene nur der Information und habe keine Krisenwirkung, schreibt Jasay ins Stammbuch: „Die Fair-value-Buchhaltung […] schreibt vor, dass marktgängige Wertschriften in Bankbilanzen «zum Marktwert» geführt werden. Die Abschreibung […] auf das Niveau eines praktisch nicht mehr existenten Marktes, riss riesige Löcher in das Eigenkapital der Banken. Das wiederum brachte sie in Konflikt mit den […] Basel-II-Regeln, die vorschreiben, wieviel Eigenkapital den Risikoanlagen gegenüberstehen muss. Da die Banken nunmehr gegen die Vorschriften verstiessen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die entsprechenden Anlagen zu fast jedem Preis abzustossen, um sie aus der Bilanz hinauszubekommen. Der Preisdruck auf die Hypothekenpapiere zwang sie und die anderen Banken in immer tiefere Verstösse hinein“ (Jasay, SM 11/2008 S. 6 f.).

Intransparente Fair-Value-Bewertung

Die mit der Fair-Value-Bewertung einhergehende Intransparenz tat ihr übriges: „Unter anderem weil der Wert der Deckung unklar war, gab es wenig Kaufwillige, und die Preise dieser hypothekenunterlegten Wertpapiere brachen brutal ein“ (Jasay, SM 11/2008 S. 6). In der Folge geriet „fast jede Bank und Versicherungsgesellschaft […] unter den (im allgemeinen durchaus grundlosen) Verdacht ungenügender Liquidität und Bonität. Interbankkredite, ein absolut fundamentaler Bestandteil jedes modernen Finanzsystems, trockneten vollständig aus, da die Gläubiger bei keinem Schuldner sicher waren, ob sich bei ihm nicht irgendeine versteckte Schwäche oder ein Verstoss gegen Vorschriften verbarg“ (Jasay, SM 11/2008 S. 7). Dennoch zeigte sich IAS 39 „hinsichtlich des bilanzierten Marktwertes marktgängiger Wertschriften unbeugsam, selbst wenn der Inhaber unter keinerlei Verkaufsdruck steht und die Marktverhältnisse momentan chaotisch und die Preise absurd sind. Es gibt gute Gründe für solche Strenge, aber wenn man den Banken etwas Luft eingeräumt hätte zur Bewertung ihrer Portefeuilles nach vernünftigen Gesichtspunkten statt nach starren Grundsätzen, hätte sich ein guter Teil unnötiger Verheerung vermeiden lassen“ (Jasay, SM 11/2008 S. 7).

Die später unter dem Vorwurf von Lobbyismus und Politisierung des IASB (vgl. dazu Jessen/Haaker, DB 26/2009 S. I) erfolgte und seinerzeit in Aussicht gestellte Lockerung der „«Marktwert»-Vorschrift“ des IAS 39 charakterisierte Jasay als „liberaler und heilsamer Schritt“ und sah voraus, dass „das existierende liberal-dirigistische System wohl in eine weit dirigistischere Form umgegossen werden [wird]. Dies macht das Bank- und Finanzwesen weder sicherer noch «moralischer», in Tat und Wahrheit würden dadurch die skrupellosesten und gerissensten Banker begünstigt – diejenigen, welche die Vorschriften am besten zu umgehen wissen“ (Jasay, SM 11/2008 S. 8).

Wie wir heute wissen, wurde die IFRS-Rechnungslegung eine Dekade später im Zuge der Ablösung des IAS 39 durch den IFRS 9 keinesfalls von der in der fatalen Wirkung durch den Freiheitsphilosophen Anthony de Jasay anschaulich beschriebenen Fair-Value-Bewertung befreit – im Gegenteil (vgl. Haaker, DB 2016 S. 366-370). Die bedrohliche Verquickung der IFRS mit der Bankenregulierung bleibt ebenfalls erhalten, weshalb sich die Deutsche Bundesbank jüngst im Monatsbericht 1/2019, S. 81-98, kritisch mit dem „IFRS 9 aus Perspektive der Bankenaufsicht“ auseinandersetzte und dabei einige „berechtigte Sorgen“ zum Ausdruck brachte (vgl. Haaker, PiR 2019 S. 84).