DER BETRIEB
Neue EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen - Umsetzungsperspektiven
Gestaltungsmöglichkeiten des deutschen Gesetzgebers für die vorinsolvenzliche Sanierung

Neue EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen - Umsetzungsperspektiven

Gestaltungsmöglichkeiten des deutschen Gesetzgebers für die vorinsolvenzliche Sanierung

RA Dr. Lars Westpfahl

Deutschland ist einer der wenigen europäischen Mitgliedstaaten ohne ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren. Das wird sich jetzt mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen ändern.

RA Dr. Lars Westpfahl
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Seit Ende des letzten Jahres liegt der finale Text der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren vor. Der Einigung waren schwierige Trilog-Verhandlungen vorausgegangen, was jedoch nicht überraschen kann. Zu unterschiedlich sind die bisherigen Rahmenbedingungen für die vorinsolvenzliche Sanierung in den Mitgliedstaaten.

Der deutsche Gesetzgeber wird nunmehr zwei Jahre (ab Inkrafttreten der Richtlinie) Zeit für die Umsetzung in nationales Recht haben; im Falle von begründeten Schwierigkeiten hierbei besteht zudem die Möglichkeit einer Verlängerung dieser Frist um ein weiteres Jahr.

Gutes Timing

Das Timing für das Vorhaben könnte kaum besser sein: Erstens liegt inzwischen auch der Forschungsbericht zur Evaluierung des ESUG vor, so dass der deutsche Gesetzgeber die Gelegenheit hat, die Insolvenzordnung und die Richtlinie, mithin Insolvenzverfahren und gerichtlich unterstützte vorinsolvenzliche Sanierung, passgenau aufeinander abzustimmen.

Zweitens weisen viele der fundamentalen konjunkturellen Daten in die Richtung einer wirtschaftlichen Eintrübung; auch eine schwere Rezession ist nicht völlig ausgeschlossen. Es steht mithin zu befürchten, dass bald dringender Bedarf für den gesamten Instrumentenkasten der Sanierung und Abwicklung besteht. Eine gewisse Eile ist also geboten.

Große Gestaltungsspielräume für den Gesetzgeber

Inwieweit die europäische Richtlinie die deutsche Restrukturierungslandschaft prägen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie sie hier umgesetzt wird. Vergleicht man den Text des ersten Entwurfs mit der jetzt vorliegenden, finalen Fassung, stellt man zunächst fest, dass es eine Vielzahl von Änderungen gegeben hat. Diese betreffen den Anwendungsbereich, den Grundsatz der Eigenverwaltung, das Moratorium, den Restrukturierungsplan und den Schutz von Finanzierungen, mithin alle Elemente des präventiven Rahmens. Unverändert geblieben sind jedoch die großen Umsetzungsspielräume im Richtlinientext:

So könnte das Verfahren einerseits als ein der materiellen Insolvenz weit vorgelagertes und strikt von ihr getrenntes Maßnahmenbündel konzipiert werden. Ein solcher Rahmen würde auf die Einsetzung einer Aufsichtsperson verzichten und im Rahmen eines Moratoriums nur sehr eingeschränkt die Suspendierung von Rechten auch nur bestimmter, vor allem plangebundener Gläubiger erlauben. Außerdem würden sich die Wirkungen des Restrukturierungsplans nur auf bestimmte Gläubiger(-Gruppen) erstrecken und die Anteilseigner ausgenommen sein. Schließlich würden die Regelungen auf eine finanzielle Restrukturierung beschränkt sein. Dieser Ansatz ist auch als Vertragshilfe bezeichnet worden.

Andererseits könnte die Richtlinie so umgesetzt werden, dass ein Verfahren im eigentlichen Sinn geschaffen wird, das zwingend die Einsetzung einer Aufsichtsperson vorsieht und ein sowohl in zeitlicher und sachlicher als auch persönlicher Hinsicht sehr weitreichendes Moratorium erlaubt. Auch die Wirkungen des Restrukturierungsplans wären umfassender, indem nicht nur alle Gläubiger erfasst wären, sondern auch die Anteilseigner, und außerdem Eingriffsrechte für die Zwecke einer leistungswirtschaftlichen Sanierung vorgesehen wären. In diesem Zusammenhang ist mehrfach von einem Insolvenzverfahren ohne Insolvenz geschrieben worden. Sofern jedoch gleichzeitig Insolvenzantragspflichten suspendiert würden, müsste man eher von einem Vergleichsverfahren trotz Insolvenz reden.

Gesetzessystematik vs. internationaler Wettbewerb

Dem deutschen Gesetzgeber fällt jetzt die Aufgabe zu, innerhalb dieser Bandbreite ein überzeugendes Konzept vorzulegen, in dem vorinsolvenzliche und insolvenzverfahrensrechtliche Regeln aufeinander abgestimmt sind. Dabei werden nicht zuletzt gesetzgeberische Systematik einerseits und die Bedingungen des internationalen Wettbewerbs andererseits miteinander streiten. So wäre in systematischer Hinsicht vermutlich eine sowohl inhaltlich als auch zeitlich klare Abgrenzung der Verfahren voneinander vorzugswürdig. Allerdings zeigt schon der Blick in die unmittelbare Nachbarschaft, dass andere europäische Mitgliedstaaten dabei sind, Regelwerke zu schaffen, die sich über systematische Erwägungen hinwegsetzen und dadurch aus Praktikersicht durchaus attraktiv sein können. So arbeitet der niederländische Gesetzgeber an einem Verfahren, für das er sich sowohl beim englischen Scheme of Arrangement als auch beim US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren bedient und die als jeweils vorteilhaft angesehenen Regelungen übernimmt. Auch die irischen Praktiker preisen bereits ihre Variante eines Scheme of Arrangement an, die der englischen durchaus ähnlich ist, das in mancherlei Hinsicht über die englische Version hinausgeht und auch im Rahmen einer sog. Examinership durchgeführt werden kann. Die (erneute) Gefahr eines forum shoppings wäre nicht ausgeschlossen und damit für den deutschen Gesetzgeber die Frage aufgeworfen, ob es legitim ist, zur Begegnung dieser Gefahr systematische Abstriche zu machen.

One size fits all?

Besonderes Augenmerk wird auch auf die sog. KMU zu legen sein. Der europäische Gesetzgeber jedenfalls ist der Auffassung, dass auch kleine und mittlere Unternehmen von einer Vereinheitlichung profitieren würden und regt an, dass ihnen Musterlisten und -pläne online zur Verfügung gestellt werden. Im Gegensatz hierzu ist die Diskussion in Deutschland bisher eher mit Blick auf große Unternehmen geführt worden, insbesondere solche, die in der Vergangenheit für eine Sanierung mittels eines englischen Scheme of Arrangement in Betracht gekommen sind. Die Diskussion wird aber jetzt auch die KMU einbeziehen müssen und es wird sich, nicht zuletzt nach den Erfahrungen mit dem ESUG, die Frage stellen, ob „one size fits all“. Ein Rahmen, der die vorinsolvenzliche Sanierung eines Konzerns ermöglicht, ist im Zweifel nicht gleichermaßen für kleine und mittlere Unternehmen geeignet.

Neues Werkzeug im Instrumentenkasten

Wie auch immer die Richtlinie letztlich umgesetzt wird, ist es in jedem Fall zu begrüßen, dass nun auch der deutsche Instrumentenkasten um eine vorinsolvenzliche Variante erweitert wird. Diese wird übrigens keinesfalls zur Bedeutungslosigkeit des Insolvenzverfahrens führen, wie zuweilen befürchtet wird. Denn erstens werden nur ausgewählte Fallgestaltungen für den präventiven Rahmen in Betracht kommen, und zweitens werden die Digitalisierung sowie disruptive Technologien in den kommenden Jahren – ungeachtet der Frage, ob eine Wirtschaftskrise kommt – massenweise „Verlierer“ hervorbringen, für die eine vorinsolvenzliche Sanierung keine Alternative ist.