DER BETRIEB
Kein Flugbetrieb ohne Betriebsrat
Das BetrVG soll künftig auch auf die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer Anwendung finden, wenn ein Tarifvertrag nicht besteht

Kein Flugbetrieb ohne Betriebsrat

Das BetrVG soll künftig auch auf die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer Anwendung finden, wenn ein Tarifvertrag nicht besteht

RA FAArbR Tobias Grambow

Das BetrVG findet für im Flugbetrieb von Luftfahrtunternehmen Beschäftigte keine Anwendung. Vielmehr kann durch Tarifvertrag eine Mitarbeitervertretung errichtet und ausgestaltet werden. Ab dem 01.05.2019 soll nach dem Willen des Gesetzgebers nun das BetrVG subsidiär gelten, wenn ein Tarifvertrag über die Mitbestimmung nicht besteht.

RA FAArbR Tobias Grambow
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Das BetrVG 1972 hat die Vorgängerregelung aus dem BetrVG 1952 übernommen, wonach für im Flugbetrieb von Luftfahrtunternehmen tätige Beschäftigte das BetrVG keine Anwendung findet. Der Gesetzgeber hatte frühzeitig erkannt, dass eine Erstreckung des BetrVG auf „fliegendes Personal“ aufgrund der fehlenden Ortsgebundenheit der Tätigkeit wenig zielführend und praktikabel ist. Vielmehr soll den Tarifvertragsparteien ermöglicht werden, maßgeschneiderte Mitbestimmungslösungen zu vereinbaren. Die Tarifvertragsparteien sind aber nicht gezwungen, einen entsprechenden Tarifvertrag zu schließen. Ohne Tarifvertrag also keine betriebliche Mitbestimmung für das fliegende Personal.

Alles wird neu

Damit ist nun Schluss. Der Gesetzgeber hat dem gewerkschaftlichen Druck nachgegeben, die Möglichkeit der Bildung eines Betriebsrats einzurichten. So soll nun das BetrVG automatisch auch auf die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen Anwendung finden, wenn keine Mitarbeitervertretung durch Tarifvertrag eingerichtet wurde.

Begründet wird der gesetzgeberische Enthusiasmus mit einer vorgeblich bestehenden Rechtsunsicherheit, ob ohne Tarifvertrag das BetrVG gelten solle (BT-Drucks. 19/6146 S. 31). Tatsächlich besteht eine solche Rechtsunsicherheit nicht ernsthaft. Der Wortlaut des § 117 BetrVG in seiner bisherigen Fassung ist nämlich ziemlich eindeutig. In seinem Abs. 1 stellt die Vorschrift die Anwendung des BetrVG für Landbetriebe von Luftfahrtunternehmen klar. Abs. 2 regelt, dass für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen durch Tarifvertrag Vertretungen gebildet werden können. Satz 2 betrifft die Zusammenarbeit solcher Gremien mit den Betriebsräten der Landbetriebe. Die vereinzelt gebliebene Ansicht, das BetrVG gelte subsidiär, wenn ein Tarifvertrag nicht geschlossen wurde, lässt sich nicht mit diesem klaren Wortlaut in Übereinstimmung bringen. Das BAG hat dementsprechend wiederholt entschieden, dass das BetrVG nicht subsidiär gilt, wenn ein Tarifvertrag nicht geschlossen wird, und die Verfassungsmäßigkeit der Norm bestätigt (siehe z.B. BAG vom 20.02.2001 – 1 ABR 27/00, RS0703407). Das entspricht der wohl herrschenden Meinung. Auch der Versuch, ein gegenteiliges Ergebnis unter Verweis auf die RL 2002/14/EG zu begründen, überzeugt nicht. Diese Richtlinie schreibt gerade nicht vor, wie die Mitgliedstaaten die Mitbestimmung gestalten (siehe hierzu jüngst Seier, DB 2019 S. 429 [431]). Jüngst hatte das LAG Hessen eine Betriebsratswahl für einen Flugbetrieb wegen absehbarer Nichtigkeit abgebrochen und dabei diese Sichtweise bestätigt (LAG Hessen vom 03.09.2018 – 16 TaBVGa 86/18, RS1286752, sowie dazu Grambow, DB 2018 S. 2997).

Der Gesetzgeber sieht sich offenbar von zwei Annahmen geleitet. Zum einen brauche das fliegende Personal in jedem Fall eine Mitarbeitervertretung. Zum anderen hält der Gesetzgeber die Gewerkschaften für zu schwach, einen entsprechenden Tarifvertrag zu erzwingen. Beide Annahmen erweisen sich als Illusion:

Weshalb das fliegende Personal nun plötzlich so dringend eine Mitarbeitervertretung (idealerweise einen Betriebsrat) braucht und die bisherige, praxisbewehrte, gesetzliche Regelung nun auf einmal nicht mehr ausreichend ist, begründet der Gesetzgeber nicht. Von prekären Arbeitsverhältnissen oder sonstigen Missständen, die einen Betriebsrat erfordern würden, ist nichts bekannt. Hält eine Mehrheit des fliegenden Personals eine Mitarbeitervertretung nicht für erforderlich, wird sie sich folglich nicht für einen entsprechenden Tarifvertrag einsetzen. Dann soll das BetrVG gelten, sodass ein Betriebsrat durch eine Minderheit erzwungen werden kann – gegen den mehrheitlich zum Ausdruck gebrachten Willen. Bekanntlich reichen drei Arbeitnehmer dafür aus. Einmal mehr scheint dies ein Beleg dafür zu sein, dass die Politik den Bürger für unmündig hält. Für eine solche beständige Bevormundung besteht kein Anlass.

Und von einer Schwäche der Gewerkschaften kann keine Rede sein. So besteht das Streikrecht auch zur Erzwingung von Tarifverträgen nach § 117 Abs. 2 BetrVG (Franzen, in: GK-BetrVG, § 117 Rn. 14, m.w.N.). Schwach sind allenfalls die Einheitsgewerkschaften. Das fliegende Personal organisiert sich nämlich vorrangig in Spartengewerkschaften. Damit offenbart sich indessen mittelbar das beständige Misstrauen gegenüber Spartengewerkschaften bzw. deren wenig verhohlene Ablehnung durch den Gesetzgeber. Besonders deutlich wurde dies durch das vom Bundesverfassungsgericht als gerade noch halbwegs verfassungsgemäß beurteilte Tarifeinheitsgesetz. Soll dieses doch letztlich die Vormachtstellung der großen Gewerkschaften sichern. Offenbar befürchtet der Gesetzgeber aus diesem Misstrauen heraus Gefälligkeitstarifverträge, ohne dass es hierfür Anhaltspunkte gäbe.

Auch scheiden solche Tarifverträge aus, die festschreiben, dass eine Mitarbeitervertretung nicht gebildet wird, sondern die Arbeitnehmer unmittelbar beteiligt werden. Dass dies – ohne Weiteres – möglich ist, zeigt § 21 Abs. 2 SEBG. Dort kann durch Vereinbarung mit dem besonderen Verhandlungsgremium – also sogar ohne Tarifvertrag – auf die Bildung eines SE-Betriebsrats verzichtet werden.

Völlig unklar ist aber auch, wie sich der Gesetzgeber nun aber eine Anwendung des BetrVG für das fliegende Personal vorstellt. Die noch in der Gesetzesbegründung zum (damaligen) § 118 BetrVG 1972 (heute § 117 BetrVG) zutreffenden Hinweise, dass eine solche Anwendung aufgrund der fehlenden Ortsgebundenheit der Tätigkeit nicht in Betracht komme (BT-Drucks. VI/1786), scheinen sich quasi über Nacht in Luft aufgelöst zu haben. Durch den Hinweis auf die angebliche Rechtsunsicherheit bringt der Gesetzgeber gar zum Ausdruck, dass er schon immer davon ausgegangen sei, das BetrVG solle subsidiär gelten. Wie er dies mit seinen früheren Begründungen in Übereinstimmung bringen möchte, bleibt offen. Der Gesetzgeber vermeidet es – verständlicherweise –, hierauf einzugehen. Der Hinweis, dass dies wohl schon immer so gewesen, zumindest gewollt gewesen sei, musste in der Gesetzesbegründung reichen.

Fraglich ist auch, ob die Bildung eines Betriebsrats für die Dauer von Tarifverhandlungen suspendiert ist. Kommt nach einer Betriebsratswahl ein Tarifvertrag zustande, so endet offenbar die Amtszeit des bisherigen Gremiums. Was aber geschieht mit den zu diesem Zeitpunkt bestehenden kollektiven Regelungen, namentlich den Betriebsvereinbarungen? Diese können kaum kollektivrechtlich fortgelten, handelt es sich doch bei der tarifvertraglich gebildeten Mitarbeitervertretung nicht um einen Rechtsnachfolger des Betriebsrats. Werden diese Betriebsvereinbarungen dann Bestandteil des Arbeitsvertrags und der Arbeitgeber kann sich nur (wenn überhaupt) durch Änderungskündigungen davon lösen? Was veranlasste den Gesetzgeber, diese Fragen zu ignorieren? Unbekannt können sie ihm kaum gewesen sein. Immerhin soll ein einmal geschlossener Tarifvertrag nachwirken.

Fazit

Der Gesetzgeber hat eine funktionierende Regelung ohne Not geändert. Das damit zum Ausdruck gebrachte Verständnis vom unmündigen Arbeitnehmer, der nicht selbst beurteilen kann, ob und wie er sich eine Mitarbeitervertretung vorstellt, ist bedenklich. Gänzlich allein gelassen hat der Gesetzgeber die Betriebe (und letztlich die gebildeten Betriebsräte) bei der Frage, wie das BetrVG konkret auf die Flugbetriebe angewandt werden soll. Eine Frage, die er seit 1952 selbst als so schwierig erkannt hat, dass er die Ausgestaltung der Mitbestimmung in Flugbetrieben den Tarifparteien überlassen hat. Nonchalant und ohne ein Wort zur Begründung geht der Gesetzgeber nun vom Gegenteil aus und verschließt vor Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten bei der Anwendung des BetrVG die Augen. Bemerkenswert.