DER BETRIEB
Investitionsprüfungen – The panda in the room
EU-Verordnung 2019/452 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union

Investitionsprüfungen – The panda in the room

EU-Verordnung 2019/452 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union

RA Dr. Jan D. Bonhage

Deutschland hat seinen Rechtsrahmen für Investitionsprüfungen nachgeschärft. Ab 2020 gelten für diese zudem die neuen EU-Regelungen zur innereuropäischen Kooperation. Staatsinterventionen bleiben die Kernherausforderung.

RA Dr. Jan D. Bonhage
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Investitionsprüfungen bei Unternehmensakquisitionen durch Nicht-EU/EFTA-Erwerber haben in den vergangenen Jahren signifikant an Bedeutung gewonnen. In Deutschland verliefen die Verfahren nach Einführung der sektorübergreifenden Investitionsprüfung 2009 zunächst weitgehend unkritisch und zumeist sehr zügig. In den vergangenen drei Jahren hat die Sensitivität für Investitionen insbesondere aus China, aber auch aus anderen Jurisdiktionen stark zugenommen. Hintergrund sind insbesondere die Neubewertung staatlicher Industriestrategien (wie ‚Made in China 2025’ und ‚Neue Seidenstraße’), heftige Diskussionen zu einzelnen Erwerbsvorhaben (wie Kuka, Aixtron, Leifeld und 50Hertz) sowie Datenzugriffs-, Spionage- und gewandelte Sicherheitsbedenken.

Die Nachschärfungen des Rechtsrahmens zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen spiegeln die aktuellen Spannungen im internationalen Wettbewerb und Handel wider. Ebenso wie die USA (CFIUS), Kanada (ICA) und China hat auch ca. die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten Regelungen zur Investitionsprüfung. Deutschland hat seine Regelungen in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) zuletzt im Juli 2017 und Dezember 2018 geändert. Nun zieht die EU auf Initiative von Deutschland, Frankreich und Italien mit einer Direktinvestitionsverordnung nach.

AWV-Investitionsprüfungen in Deutschland

Mit der AWV-Reform von 2017 hat die Bundesregierung Meldepflichten für aus Sicht des Bundes besonders sicherheitsrelevante Bereiche begründet (u.a. Betrieb Kritischer Infrastruktur und Entwicklung branchenspezifischer Software zu dessen Betrieb, TK-Überwachung, Cloud-Computing). Zudem hat sie die Entscheidungsfristen und damit die Verfahrensdauer verlängert. Ab positiver Kenntnis vom Abschluss eines Erwerbsvertrags hat das BMWi seither drei Monate, ab Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung zwei Monate Zeit für die Entscheidung darüber, ob es ein Prüfverfahren eröffnet. In diesem hat das BMWi vier Monate ab Eingang der vollständigen Unterlagen für seine Entscheidung, d.h. eine Unbedenklichkeitsbescheinigung oder – mit Zustimmung der Bundesregierung – ein Verbot oder einschränkende Anordnungen. Verhandlungen über in der Praxis zunehmend bedeutsame Sicherheitsvereinbarungen hemmen den Fristablauf. Die alte Daumenregel, wonach eine Investitionsprüfung typischerweise schneller ist als ein Fusionskontrollverfahren, ist seither nicht mehr verlässlich. Die nicht fest absehbare Verfahrensdauer und damit verbundene Transaktionsunsicherheit sind zu einem Investitionsdämpfer geworden.

Mit der AWV-Reform von 2018 hat die Bundesregierung die Aufgreifschwelle für die besonders sicherheitsrelevanten Bereiche – ebenso wie für die sektorspezifische Investitionsprüfung für Erwerbe durch nichtdeutsche Investoren in den Bereichen Kriegswaffen, Militär, IT-Sicherheit für Verschlusssachen und Erdfernerkundung – von zuvor 25% auf 10% der Stimmrechte an dem deutschen Zielunternehmen herabgesetzt. Für alle sonstigen Investitionen besteht weiterhin die Aufgreifschwelle von 25%. Hintergrund der Herabsetzung war der Versuch eines staatlichen chinesischen Investors, 20% an 50Hertz zu erwerben, was bis zur Reform nicht prüffähig war. Der zur Abwendung gewählte Weg der staatlichen Intervention und Investition über die KfW ist Ausdruck der veränderten Wahrnehmung von Sicherheits- und industriestrategischen Risiken.

Die Herabsetzung der Aufgreifschwelle hat bislang keine signifikanten Auswirkungen auf die Prüfverfahren, zumal auch zuvor ganz überwiegend Investments (deutlich) oberhalb der Sperrminoritätsbeteiligung von 25% geprüft wurden. Der ausgeweitete, nicht abschließende Katalog besonders sicherheitsrelevanter Bereiche – nunmehr auch Medien mit besonderer Aktualität und Breitenwirkung – bekräftigt dagegen, dass der Kernbereich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verlassen wurde. Diese Tendenz ist auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten zu beobachten.

EU-Direktinvestitionsverordnung

Mit der am 10.04.2019 in Kraft tretenden EU-Verordnung belässt die EU die Prüfverfahren in nationaler Verantwortung (einschließlich der Entscheidung über die Einführung/Aufrechterhaltung solcher Verfahren), harmonisiert diese durch Mindeststandards und überführt den interstaatlichen Austausch zu Sicherheitsbelangen in einen offiziellen Kooperationsmechanismus.

Was ändert sich für Deutschland? Zunächst wenig. Die EU-Verordnung beansprucht vollständige Geltung erst ab 11.10.2020. Auch danach bleiben Investitionsprüfungen in nationaler Verfahrenshoheit und sind Stellungnahmen der Kommission grundsätzlich lediglich zu berücksichtigen, mit erhöhtem Gewicht bei Projekten oder Programmen von Unionsinteresse (Galileo, Horizont 2020, TEN-T, TEN-E u.a.). Prüfungsmaßstab bleibt die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Das Verfahren erlaubt weiterhin kein Veto aus standortpolitischen oder industriestrategischen Erwägungen.

Deutschland wird voraussichtlich die in der EU-Verordnung benannten berücksichtigungsfähigen Faktoren in die AWV übernehmen. Die EU-Verordnung stellt insbesondere auf mögliche Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen, kritische Technologien und Dual-use-Güter, Versorgung mit kritischen Ressourcen, Zugang zu oder Kontrollfähigkeit über sensible Informationen sowie Freiheit und Pluralität der Medien ab. Die AWV benennt in großen Teilen überschneidende Aspekte, jedoch mit Abweichungen im Detail. Darüber hinaus – bislang in der AWV nicht ausdrücklich verankert – sind nach der EU-Verordnung zu berücksichtigen eine direkte oder indirekte staatliche Kontrolle des ausländischen Investors, frühere oder bestehende sicherheitsrelevante Beteiligungen sowie ein etwaiges erhebliches Risiko der Beteiligung des ausländischen Investors an illegalen oder kriminellen Aktivitäten.

Die EU-Mitgliedstaaten haben sich zu spezifischen Sicherheitsbelangen in Einzelfällen bislang eher bilateral ausgetauscht. Ein neuer Kooperationsmechanismus – gleichsam ein Verfahren hinter dem Verfahren – soll die Einbindung aller EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission künftig stärken. Die Entscheidungsfrist in AWV-Prüfverfahren von vier Monaten ab Eingang der vollständigen Unterlagen wird auch für etwaige Kommentare anderer Mitgliedstaaten und Stellungnahmen der Kommission ausreichend sein. Diese müssen ihre Absicht zu kommentieren binnen 15 Tagen anzeigen, Kommentare binnen 35 Tagen und Stellungnahmen binnen weiterer fünf bzw. 15 Tage einreichen. Bei zusätzlichen Informationsersuchen beginnt jedoch eine neue Frist von 20 Tagen ab Informationseingang.

Herausforderungen und Ausblick

Die Praxis wird erweisen, ob die Verfahren durch die Einbindung anderer Mitgliedstaaten und der EU noch weiter in die Länge gezogen werden. Transaktionsunsicherheit und längere Verfahrensdauer trüben das Investitionsklima erheblich. Dies umso mehr, als die (diskriminierungsfreie) Anwendung der Prüfverfahren auf Unternehmenserwerbe aus verschiedensten Regionen außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums auch solche Akquisitionen hemmen kann, die letztlich unter Sicherheitsaspekten unkritisch sind.

Die EU-Verordnung gibt als Mindeststandard für Regeln und Verfahren für Überprüfungsmechanismen in den Mitgliedstaaten vor, dass diese nicht zu einer Diskriminierung zwischen Drittstaaten führen dürfen. Auch die Regelungen der AWV sind ohne rechtliche Unterscheidung auf alle Unionsfremden (Nicht-EU/EFTA-Erwerber) anwendbar. ‚The elephant in the room’ – oder hier passender der Panda – ist in den begleitenden Materialien außerhalb der Rechtsregeln aber klar benannt. Ebenso wie in weiteren aktuell diskutierten Feldern – staatliche Investitions- und Interventionsstrategien, Änderungen EU-Fusionskontrolle, Reziprozität im Vergaberecht und Investitionsabkommen EU–China – bleibt die Herausforderung, mit dem Anliegen einer Stärkung der EU besonders im Verhältnis zu China nicht die Errungenschaften des Wettbewerbs und des Marktes über Bord zu werfen. Die Mitgliedstaaten und die EU bleiben gut beraten, mit Augenmaß, investitionsfreundlich und zügig-konstruktiv in den Verfahren zusammenzuwirken. Unternehmen werden die Investitionsprüfungen im veränderten Marktumfeld weiterhin sicherheitsbewusst und sorgfältig vorbereiten müssen.