DER BETRIEB
Welche Richtung nimmt die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle?

Welche Richtung nimmt die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle?

StB Christian Ehlermann

Nachdem die Einführung einer europaweiten Digitalsteuer selbst in einer abgespeckten Form (nämlich beschränkt auf Online-Werbeeinnahmen) im EU-Finanzministerrat nicht einstimmig beschlossen werden konnte, konzentrieren sich die steuerpolitischen Bemühungen zu einer „angemessenen“ Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle nunmehr voll und ganz auf die OECD, und dort auf die derzeitigen Arbeiten der „Task Force on the Digital Economy“.

StB Christian Ehlermann
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Im Grundsatz starten die nun diskutierten OECD-Überlegungen wohl mit der Prämisse, dass die bisher im Rahmen des BEPS-Projekts beschlossenen und vielfach in Umsetzung befindlichen Maßnahmen (z.B. überarbeitete Verrechnungspreisprinzipien, Transparenz durch neue Dokumentationsregeln, Nexus-Regeln für sogenannte IP-Boxen, erweiterter Betriebsstättenbegriff) nicht ausreichend sind, um ungewünschte Gestaltungen im Rahmen digitaler Geschäftsmodelle einzudämmen. Die von der OECD „Task Force on the Digital Economy“ vorgeschlagenen zwei „Säulen“ zur Anpassung des internationalen Steuersystems haben das Potenzial, das traditionelle internationale Steuergefüge massiv zu verändern.

Wie will die OECD die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle reformieren?

Säule 1 der OECD-Diskussionsgrundlage beschäftigt sich mit dem Thema der Verteilung von Gewinnen aus (digitalen) Geschäftsmodellen zwischen den Staaten. In der Tendenz soll hier zum einen den Absatzmarkt-Staaten eine Besteuerungskompetenz selbst dann gewährt werden, wenn ein Unternehmen keine physische Präsenz in dem Land unterhält (eine „signifikante ökonomische Präsenz“ soll zur Begründung eines Besteuerungsrechts ausreichen); überdies soll den Absatzmärkten ein größerer Teil vom Steuerkuchen zustehen. Die einzelnen diskutierten Modelle zur Neuverteilung des Steuersubstrats unterschieden sich erheblich; am meisten Unterstützung genießt derzeit das „Marketing Intangible“-Modell. Demnach soll der Gewinn, den multinationale Unternehmen auf die Nutzung Marketing-bezogener immaterieller Wirtschaftsgüter (u.a. auch Marken, Kundendaten) zurückführen, zwischen den Absatzstaaten nach einer zu definierenden Formel verteilt werden (Profit Split), so dass im Ergebnis den Absatzstaaten ein weitaus höherer Anteil am globalen Unternehmensgewinn zustünde als nach den heutigen Verrechnungspreisgrundsätzen (bzw. bei signifikanter ökonomischer Präsenz erstmalig überhaupt ein Anteil daran zustünde). Neu ist, dass hier einer unternehmensexternen Quelle, nämlich den Nutzern bzw. Kunden, ein steuerlich relevanter, wertschöpfungssteigernder Beitrag zugerechnet wird. Dieser „Marketing Intangible“-Ansatz wird wohl stark von den USA propagiert, die hierin auch eine Möglichkeit sehen, über Digitalunternehmen im engeren Sinne hinaus auch Neuallokationen von Besteuerungsrechten für andere, stark Marketing-orientierte Unternehmen herbeizuführen.

Säule 2 der OECD-Überlegungen beinhaltet Vorschläge (wohl vor allem unterstützt von Deutschland und Frankreich), die eine globale Mindestbesteuerung sicherstellen sollen, und zwar durch zwei miteinander zu koordinierende Maßnahmen: Zum einen eine erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung, die stets greift, wenn Gewinne einer Tochtergesellschaft keiner hinreichenden Steuer unterliegen; zum anderen eine Abzugsbeschränkung oder Sonder-Quellensteuer für konzerninterne Zahlungen an niedrig besteuerte Empfänger. Dabei ist momentan völlig offen, was „niedrige“ Besteuerung im Sinne dieser Überlegung sein soll.

Konkretisiert und in einen Aktionsplan überführt werden sollen die oben genannten Überlegungen durch die OECD bis Ende 2020. Dabei muss beachtet werden, dass die OECD-Diskussionen im Rahmen des sog. „Inclusive Framework“ stattfinden, d.h. von derzeit 129 Staaten begleitet werden; dies lässt einerseits den Zeitplan angesichts der teilweise revolutionär wirkenden Konzepte als sehr ambitioniert erscheinen, andererseits aber bei tatsächlicher politischer Einigung eine flächendeckende Umsetzung erwarten.

Wie sind die OECD-Ansätze zu werten?

Aus Unternehmenssicht wäre ein globaler Konsens, der auf pragmatischer Basis zu einer abgestimmten Verteilung von Besteuerungskompetenzen führt, sicherlich einem (nicht unrealistischen) Alternativszenario von zunehmenden Verrechnungspreiskonflikten und unilateral eingeführten Digitalsteuern vorzuziehen. Jedoch dürfen die Schwierigkeiten mit dem vorgeschlagenen Ansatz nicht unterschätzt werden:

  • Man kann sich schon grundsätzlich fragen, warum hier plötzlich von dem in den BEPS-Aktionspunkten 8–10 festgeschriebenen Primat der relevanten Personalfunktionen für die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern abgewichen werden soll. Gute ökonomische Gründe hierfür finden sich jedenfalls nicht, sondern allenfalls empfundene Ungerechtigkeiten in der globalen Verteilung von Steueraufkommen.

  • Wenn man berücksichtigt, dass Unternehmenssteuern auch erhoben werden, um die Betriebe an den Kosten der von ihnen genutzten öffentlichen Infrastruktur (z.B. Straßen, Eisenbahnen, Bildungsstätten) zu beteiligen, ist es ebenfalls fragwürdig, Unternehmen, die im Absatzstaat diese Infrastruktur kaum oder überhaupt nicht nutzen, dort steuerlich zu belangen. Dies wäre aber bei der vorgeschlagenen Neu-Allokation von Besteuerungsrechten der Fall, und zwar zulasten des Steueraufkommens der Staaten, in denen tatsächlich entsprechende Infrastruktur genutzt wird. Staaten, die durch ihre Steuerpolitik gute Bedingungen für die Schaffung innovativer Technologien schaffen, würden so tendenziell benachteiligt.

  • Ein kaum sinnvoll zu lösendes Problem beim „Marketing Intangible“-Ansatz ist der Umgang mit Verlusten. Immaterielle Wirtschaftsgüter und insbesondere erfolgreiche datengetriebene Geschäftsmodelle fallen nicht vom Himmel, sondern werden i.d.R. mit erheblichem Kostenaufwand entwickelt. Dadurch entstehen steuerlich gesehen Verluste in dem Land, in dem die Entwicklung stattfindet. Wenn dieses Land aber an den zukünftigen Gewinnen aus der globalen Nutzung des geschaffenen „Marketing Intangibles“ nur noch begrenzt partizipiert, riskieren die Verluste faktisch nicht verrechenbar zu sein, sodass global gesehen Gewinn besteuert würde, der gar nicht da ist. Unternehmen müssten, wollten sie dieses Ergebnis vermeiden, ihre Entwicklungsaktivitäten global umverteilen, hin zu den großen Absatzmärkten, was eine bedenkliche Entwicklung wäre und nichts mehr mit einer optimalen globalen Ressourcenallokation zu tun hätte.

Im Ergebnis stellt sich die derzeit bestehende international-steuerpolitische Situation – etwas drastisch ausgedrückt – wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera dar. Erfolgt keine weitergehende, abgestimmte Reform auf OECD-Ebene, ist die Zunahme von Doppelbesteuerung durch unilateral eingeführte Digital-Besteuerungskonzepte und Verrechnungspreiskonflikte zu erwarten. Kommt es aber zu der sich abzeichnenden, manchmal auch „BEPS 2.0“ genannten Reform des internationalen Steuersystems mit Hilfe der vorgenannten zwei Säulen, betreten Staaten und Unternehmen unbekanntes Terrain, was die Verteilung von Steueraufkommen, aber auch die Lenkung von Investitionsströmen und den Umstellungs- und Befolgungsaufwand angeht. Angesichts dieser unattraktiven Wahlmöglichkeiten drängt sich die Frage auf, warum eigentlich der Bedarf, überhaupt „etwas zu tun“, als so akut angesehen wird. Viele BEPS-Empfehlungen wurden oder werden gerade erst weltweit umgesetzt – sollte man nicht deren Wirkungsweise abwarten, bevor man neue Maßnahmen ergreift? Unternehmen benötigen Rechtssicherheit, gerade beim komplexen und kostenträchtigen Übergang zu digitalisierten Geschäftsmodellen. Sollte der derzeitige Diskussionsprozess nicht zügig in einem globalen Konsens mit klaren Regeln münden, droht das Steuerrecht zum Investitionshemmnis zu werden.