DER BETRIEB
DSGVO und gewerkschaftliche Datensammler
Neugierig, was die Gewerkschaft über Sie weiß?

DSGVO und gewerkschaftliche Datensammler

Neugierig, was die Gewerkschaft über Sie weiß?

Prof. Dr. Volker Rieble / Dr. Stephan Vielmeier

Gewerkschaften beobachten Unternehmen akribisch. Im Zielfernrohr auch: Eigner und Führungskräfte. Für sozialpolitische Propaganda werden deren Konflikte, Äußerungen und gelegentlich Details aus dem Privatleben notiert. Im Konflikt kann mit solchen Informationen auf Streik- oder Betriebsversammlungen, auf Flugblättern und im Internet Stimmung gemacht werden. Wenig bedacht: Auch Gewerkschaften sind an die DSGVO gebunden – was Betroffenen ein scharfes Schwert in die Hand gibt.

Prof. Dr. Volker Rieble
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Seit 2018 gilt die DSGVO mit ihren Folgen auch für das Arbeitsrecht. Im kollektiven Arbeitsrecht wird der Datentransfer an den Betriebsrat und dessen Daten-Verantwortung diskutiert. Bislang kaum bedacht: Gewerkschaften erheben, speichern und verarbeiten Daten – nicht nur ihrer Mitglieder, sondern gerade auch von Akteuren der Gegenseite.

Dr. Stephan Vielmeier
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Gewerkschaften als Datensammler

Gewerkschaften erfassen im großen Umfang Daten. Das betrifft einmal die wirtschaftlichen Verhältnisse der gegnerischen Unternehmen, deren betriebswirtschaftliche Kennzahlen in die Tarifpolitik, aber auch in die Kampftaktik eingehen. Insofern wird schon lange kritisiert, dass Amtsträger der Mitbestimmung – also Betriebsrats- und Aufsichtsratsmitglieder – Informationen weitergeben.

Daneben werden personenbezogene Daten von Unternehmenseignern und Führungskräften gesammelt. Die Neugierde der Gewerkschaften ist breit gefächert: neben der systematischen Erfassung von Informationen über natürliche Personen (Unternehmenseigner) gilt sie ihren finanziellen Verhältnissen, Beteiligungen und Verflechtungen an und mit anderen Unternehmen. Auch die systematische Sammlung von (betriebs-)öffentlichen Äußerungen, insbesondere wenn sie missverständlich oder durch Auslassungen kampfgeeignet zitierbar sind, kommt vor. Daneben gibt es Fälle, in denen Gewerkschaften höchstpersönliche Angaben erfassen – von der politischen Einstellung über Familienverhältnisse und menschliche Hintergründe bis zu Anstößigem. Betroffene glauben, die Gewerkschaft führe ein „Dossier“ über sie – mit mehr oder weniger schmutzigen Details. In welchem Ausmaß solche Mutmaßungen zutreffen, ist unbekannt. Aus der Beratungspraxis lässt sich immerhin ein Fall berichten, in dem ein Betriebsratsvorsitzender einer frischen und zu kecken Personalleiterin drohte, sie werde nach seiner Intervention in der Metallindustrie keine Anstellung mehr finden.

Gewerkschaften auf Datenschutz verpflichtet

Betroffene Naturpersonen, also Eigner oder Führungskräfte, sind anders als juristische Personen solcher Sammelleidenschaft nicht schutzlos ausgeliefert. Die DSGVO gibt jeder natürlichen Person, nicht bloß Arbeitnehmern oder Verbrauchern, ein Recht zu wissen, wer was über sie weiß. Die DSGVO reguliert selbst die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten. Insofern kommt es gerade nicht darauf an, ob die Daten digital gespeichert oder systematisch in einem körperlichen Ordner abgeheftet sind. Entscheidend ist das „Dateisystem“ des Art. 4 Nr. 6 DSGVO: „jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird“.

Das Erfordernis der Personenbezogenheit ist sehr weit zu verstehen und folgt aus jedweden „Merkmalen […], die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind.“

Jede Gewerkschaft ist nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO als Datenentscheider verantwortlich und damit passivlegitimiert. Die DSGVO kennt kein Gewerkschaftsprivileg für die „Gegnerdatensammelwut“, sondern erlegt es jedem Tendenzträger auf, grundsätzlich Rechenschaft über den eigenen Umgang mit fremden Daten abzulegen. Eine Rechtfertigung nach Art. 6 DSGVO oder § 26 BDSG-neu fehlt. Die Betroffenen haben keine Einwilligung erteilt, es besteht kein Vertrag mit der Gewerkschaft und diese nimmt keine „Aufgaben im öffentlichen Interesse“ wahr.

Verteidigung für Betroffene

Die Durchsetzung der DSGVO ist einmal öffentlich-rechtlich den Aufsichtsbehörden aufgegeben, die nach Art. 83 DSGVO scharfe Bußgelder von bis zu 20 Mio € verhängen können. Dass solche Schärfe von deutschen Behörden gegenüber deutschen Gewerkschaften an den Tag gelegt wird, braucht niemand zu glauben. Der europarechtlich geforderte effet utile trifft dann auf soziales Denken.

Die Verfasser empfehlen betroffenen Unternehmenseignern oder Führungskräften, nicht auf das Handeln von Aufsichtsbehörden zu setzen, sondern ihre Abwehrrechte nach der DSGVO zu nutzen. Zentral ist der dreistufige Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 1 Hs. 1 DSGVO:

In der ersten Stufe können Personen, die vermuten, dass die Gewerkschaft über sie ein „Dossier“ führt, von der Gewerkschaft, vertreten durch den Vorstand, Auskunft über das „Ob“ einer Verarbeitung seiner persönlichen Daten verlangen.

Räumt die Gewerkschaft eine solche Datenverarbeitung ein, kann der Betroffene in der zweiten Stufe umfangreiche Auskünfte nach dem Katalog des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–8 DSGVO verlangen, insbesondere über die Verarbeitungszwecke, die Empfänger der personenbezogenen Daten und, praktisch wohl entscheidend, Informationen über die Herkunft der Daten.

In der dritten Stufe kann der Betroffene nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO die Herausgabe einer Kopie der personenbezogenen Daten verlangen, wobei zur Wahrung von Rechten Dritter Schwärzungen zulässig sind.

Ergibt die – notfalls im Wege der Zwangsvollstreckung zu erzwingende Auskunft – rechtswidrige Datenerhebungen, so kann der Betroffene Löschung und nach Art. 82 DSGVO Schadensersatz und sogar Schmerzensgeld verlangen.

Worin liegt der Mehrwert eines solchen offensiven Vorgehens gegen die Gewerkschaft? In erster Linie geht es darum, „klare Kante zu zeigen“, nämlich dass man rechtswidrige Handlungen nicht dulden wird. Das ist Iherings Kampf um's Recht. Daneben ist es für Betroffene regelmäßig hilfreich zu erfahren, über welche Wege personenbezogene Daten über das eigene Privatleben zur Gewerkschaft gelangt sind. Zudem lässt sich so ein gewisser Lästigkeitsfaktor entwickeln: Auch die Gewerkschaft hat keine unbegrenzten Ressourcen und wird sich womöglich einfachere Gegner suchen.

Immer aber muss mit einem datenschutzrechtlichen „Gegenschlag“ gerechnet werden. Dass Gewerkschaften einfache Arbeitnehmer instrumentalisieren, kommt nur selten vor – wie schon die Entwicklung des Tarifbruchunterlassungsanspruches (Burda) zeigt: In aller Regel können die Gewerkschaften die Arbeitnehmer nicht dafür gewinnen, für sie vor Gericht zu gehen. In manchen Fällen wurde solch ein Gegenschlag schon durchgeführt durch altgediente Mitbestimmungsfunktionäre, insbesondere wenn sie schon ausgeschieden sind. Er richtet sich gegen den Arbeitgeber und nicht gegen die natürliche Person, die sich wehrt. Indes muss sich ohnehin jedes Unternehmen auf solche Aktionen vorbereiten.

Ziel: Gewerkschaftscompliance

Letztlich werden die Gewerkschaften nicht umhinkommen, ihren Umgang mit Daten kritisch zu hinterfragen. Der Grundsatz der strikten Datensparsamkeit gilt auch für sie. „So, gegen jeden von Euch gibt es was“ ist keine taugliche Devise.

Insofern reiht sich der neue Konflikt zwischen gewerkschaftlicher Neugierde und strengem Schutz personenbezogener Daten nahtlos in bestehende Zweifelsfelder ein. Während bei der Erfassung unternehmensbezogener Daten eine Wechselwirkung zur Koalitions- und Tarifpolitik als Rechtfertigung angeführt werden kann, fehlt ein solcher Bezug bei der Erstellung von „Dossiers“ über natürliche Personen. Gegenspieler der Gewerkschaft sind lediglich Arbeitgeber bzw. deren Verbände, nie aber deren Vertreter oder gar die Anteilseigner eines Unternehmens. Die Gewerkschaften haben kein berechtigtes sozialpolitisches Interesse, Vorratsdaten über natürliche Personen zu sammeln.

Der Lerneffekt für Gewerkschaften: Sie stehen nicht außerhalb des Rechts oder gar über diesem – auch wenn vor den Arbeitsgerichten ein solcher Eindruck mitunter entstehen kann. Hier aber – wichtig für den Lerneffekt – sind die ordentlichen Gerichte zuständig, die die Augenbinde der Justitia nicht abgestreift haben, die mithin ohne Ansehung der Person urteilen und für irrlichterndes Gefühlsrecht nur mäßig begabt sind.