DER BETRIEB
Grenzüberschreitende Umwandlungen: EU erweitert die Palette
Neuregelung im Spannungsfeld von Gestaltungsfreiheit und Missbrauchsgefahren

Grenzüberschreitende Umwandlungen: EU erweitert die Palette

Neuregelung im Spannungsfeld von Gestaltungsfreiheit und Missbrauchsgefahren

Prof. Dr. Christoph Teichmann

Rechtzeitig vor der Europawahl konnte eine Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen verabschiedet werden. Sie regelt neben der Verschmelzung auch den Formwechsel und die Spaltung. Eine vorbeugende Missbrauchskontrolle soll die Flucht aus der unternehmerischen Mitbestimmung verhindern.

Prof. Dr. Christoph Teichmann
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Grenzüberschreitende Umwandlungen sind bislang im Binnenmarkt mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. In jüngerer Zeit hatten zwar mehrere EuGH-Entscheidungen (Cartesio, VALE und Polbud) die Niederlassungsfreiheit auf den grenzüberschreitenden Formwechsel erstreckt. Dies schaffte jedoch keine Klarheit, sondern führte zu zahlreichen Folgeprozessen vor nationalen Gerichten. Immer wieder aufs Neue musste über die einzelnen Schritte des Umwandlungsverfahrens gestritten werden. Daraufhin unternahm die EU-Kommission im April 2018 den großen Wurf. Eine Neufassung der Richtlinie 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts sollte alle grenzüberschreitenden Umwandlungen (Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel) umfassend regeln. Angesichts der komplexen Materie hatten nur wenige Optimisten den EU-Organen zugetraut, was jetzt gelungen ist: Noch vor der Europawahl haben der Ministerrat und das Parlament die Richtlinie beschlossen, die das Recht der grenzüberschreitenden Umwandlungen auf eine neue Basis stellt. Es bleiben nun drei Jahre, um das deutsche Umwandlungsrecht an die neuen Vorgaben anzupassen.

Wanderungen zwischen den Rechtsordnungen

Neben der bereits existierenden Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) werden künftig auch ein Formwechsel und eine Spaltung über die Grenze möglich sein. Gemeinsam ist diesen Gestaltungen der Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts. Durch den Formwechsel nimmt die Gesellschaft eine Rechtsform des Zuzugsstaats an. Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung liegen aufnehmender und übertragender Rechtsträger in verschiedenen Mitgliedstaaten. Die Spaltung regelt den umgekehrten Vorgang und verteilt das Vermögen einer Gesellschaft auf mehrere Rechtsträger in verschiedenen Staaten. Beim Formwechsel besteht Kontinuität des Rechtsträgers. Bei Verschmelzung und Spaltung geht das neu zugeordnete Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über.

Die Neuregelung gilt für alle Kapitalgesellschaften. Ihr Charme liegt in einem für alle Umwandlungsformen parallel geregelten Verfahren: Das Geschäftsführungsorgan erstellt einen Umwandlungsplan und einen Umwandlungsbericht. Das Vorhaben wird über das Handelsregister offengelegt. Die Gesellschafter beschließen die Umwandlung mit qualifizierter Mehrheit. Zum Abschluss wird das Vorhaben in allen beteiligten Mitgliedstaaten im Handelsregister eingetragen. Die Eintragung ist konstitutiv und heilt eventuelle Verfahrensmängel.

Wahrung der Interessen im Wegzugsstaat

Das grenzüberschreitende Umwandlungsverfahren erfordert eine effiziente Zusammenarbeit der nationalen Register. Davon konnte in der Vergangenheit nicht immer die Rede sein. In einigen Fällen wurden Formwechsel im Zuzugsstaat eingetragen, bevor der Wegzugsstaat die rechtliche Prüfung des Vorgangs abgeschlossen hatte (s. OLG Frankfurt/M. vom 03.01.2017 – 20 W 88/15, DB 2017 S. 779). Derartige Übergriffe in die Kompetenz anderer Staaten werden durch die Neuregelung verhindert. Die EU-Richtlinie ordnet ein zweistufiges Verfahren an: Zunächst prüft der Wegzugsstaat, ob dort alle Rechtsregeln, die mit der Umwandlung zusammenhängen, eingehalten wurden. Zu denken ist etwa an die Regeln zur Einberufung der Gesellschafterversammlung, zur Beschlussfassung und zum Gläubigerschutz. Die davon betroffenen Personen sind typischerweise im Herkunftsstaat der Gesellschaft angesiedelt und erwarten berechtigterweise, nach den Regeln derjenigen Rechtsordnung geschützt zu werden, der die Gesellschaft bislang unterliegt.

Dreh- und Angelpunkt: Die Vorabbescheinigung

Nach Abschluss der rechtlichen Prüfung erstellt der Wegzugsstaat die sog. Vorabbescheinigung. Anhand dieser Bescheinigung kann der Zuzugsstaat erkennen, dass die erste Etappe der Umwandlung erfolgreich abgeschlossen wurde. Solange keine Vorabbescheinigung vorliegt, darf die nachfolgende zweite Etappe nicht beginnen. Sie besteht in der Prüfung der Rechtsregeln des Zuzugsstaates. Dieser darf für den Wechsel in seine Rechtsordnung die Einhaltung der inländischen Standards verlangen. Beispielsweise müsste eine französische S.A.R.L., die durch Formwechsel zu einer deutschen GmbH werden will, eine notariell beurkundete Satzung nach den Regeln des GmbH-Gesetzes vorlegen.

Minderheiten- und Gläubigerschutz (fast) vereinheitlicht

Ein zentrales Anliegen der EU-Kommission bestand in der Rechtsangleichung der Schutzinstrumente für Gläubiger und Minderheitsgesellschafter. Die neue Richtlinie gewährt daher Gesellschaftern, die sich gegen die Umwandlung aussprechen, ein Austrittsrecht gegen Barabfindung. Sie schließt zugleich eine Beschlussanfechtung aus, soweit sie sich gegen die Höhe der Barabfindung richtet. Dies kommt der deutschen Rechtslage entgegen, deren Spruchverfahren bislang nicht immer mit den Systemen anderer Mitgliedstaaten kompatibel war. Künftig wird seine Durchführung durch EU-Recht abgesichert sein. Ein einheitlicher Gläubigerschutz wurde im Ministerrat bedauerlicherweise abgelehnt. Konsensfähig war lediglich die prozedurale Garantie eines fortbestehenden Gerichtsstands. Die weiteren Schutzinstrumente für Gläubiger bleiben wie bisher dem nationalen Recht überlassen.

Keine Umgehung der deutschen Mitbestimmung

Der Wechsel in eine ausländische Rechtsform dient mitunter dem Ziel, der Aufsichtsratsmitbestimmung zu entkommen. Grenzüberschreitende Umwandlungen könnten zu demselben Zweck eingesetzt werden. Um dies zu verhindern, wird das bekannte europäische Verhandlungsmodell weiter ausgebaut. Künftig muss bereits dann mit den Arbeitnehmern über Mitbestimmung verhandelt werden, wenn nur 4/5 des nationalen Schwellenwertes für die Mitbestimmung erreicht sind. Das wären in Deutschland 400 Arbeitnehmer. Ein zusätzlicher Hebel liegt in der Vorabbescheinigung. Sie kann verweigert werden, wenn die Umwandlung in missbräuchlicher Weise dazu dient, nationale Schutzvorschriften zu umgehen. Dieser Vorwurf liegt nahe, wenn im Zuzugsstaat nur eine Briefkastengesellschaft entsteht, deren Arbeitnehmer überwiegend in Deutschland tätig sind. Wer den Arbeitnehmern im Verhandlungswege ein adäquates Mitbestimmungsmodell anbietet, braucht den Missbrauchsvorwurf allerdings nicht zu fürchten.

Insgesamt dürfte es so gelingen, die Spreu vom Weizen zu trennen: Wirtschaftlich sinnvolle Gestaltungsmöglichkeiten werden erweitert, Umgehungskonstruktionen werden es schwer haben. Dass darunter zumindest in der Anfangsphase die Planungssicherheit der Unternehmen leidet, musste in Kauf genommen werden. Ohne ausreichenden Umgehungsschutz wäre die Richtlinie politisch nicht konsensfähig gewesen.