DER BETRIEB
Kodex 2019 – des Entwurfs Zähmung
Die massive Kritik am Kodex-Entwurf vom Oktober 2018 hat Wirkung gezeigt

Kodex 2019 – des Entwurfs Zähmung

Die massive Kritik am Kodex-Entwurf vom Oktober 2018 hat Wirkung gezeigt

RA Dr. Alexander Kiefner / RA Dr. Robert Weber

Mit dem am 22.05.2019 veröffentlichten neuen Corporate Governance Kodex wird die Praxis insgesamt gut leben können. Das vorherige Konsultationsverfahren hat sich bewährt. Unterm Strich hätte es der Novelle nicht bedurft.

RA Dr. Alexander Kiefner
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Die Kodex-Kommission war mit dem Ziel angetreten, dem Kodex (wieder) höhere Relevanz zu verschaffen. Faktisch drohten die internen Regelwerke der großen Stimmrechtsberater wie ISS und Glass Lewis dem Kodex den Rang abzulaufen. Wie von manchen befürchtet, blieb mit dem Entwurf vom 28.10.2018 kaum ein Stein auf dem anderen. Bis Ende Januar 2019 schloss sich ein Konsultationsverfahren an; über 100 Verbände, Unternehmen und andere Marktteilnehmer (darunter auch die Kanzlei des Verfassers) reichten kritische Stellungnahmen ein.

RA Dr. Robert Weber
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Die massive Kritik hat bei der Kommission Eindruck hinterlassen. In wesentlichen Punkten wurden die Forderungen der Praxis aufgegriffen. Einzelne Wermutstropfen bleiben. Förmlich im Bundesanzeiger bekanntgemacht wird der Kodex 2019 erst, nachdem die derzeit das Gesetzgebungsverfahren durchlaufende Novelle des Aktiengesetzes (ARUG II) in Kraft getreten ist.

Neue Struktur

Im Vergleich zum alten Kodex springt die strukturelle Neukonzeptionierung ins Auge, die auch nach der Konsultation beibehalten wurde. Musste früher bei jeder Ziffer mit ihren teils mehreren Unterabsätzen der Text in Empfehlungen („soll“), Anregungen („sollte“) und Wiedergabe der Gesetzeslage (Indikativ) entschlüsselt werden, ist das neue Konzept nutzerfreundlicher. Die Grundsätze geben die (Gesetzes)-Prinzipien wieder, danach folgen Empfehlungen und Anregungen. Was die Abfolge angeht, wurde die Kritik am Entwurf aufgegriffen und ein gelungener Mittelweg zwischen altem Kodex und Entwurf gefunden. Anders als noch im Entwurf befasst sich der Kodex auch (wieder) mit der Hauptversammlung; Interessenkonflikte, Transparenz und Vergütung sind in eigenen Kodex-Abschnitten geregelt.

Kein Grundsätzebericht

Der Entwurf hatte noch die Empfehlung vorgesehen, die konkrete Unternehmenspraxis zu allen Kodex-Grundsätzen in einem Grundsätzebericht („apply and explain“) zu erläutern. Hierzu kommt es – zum Glück – nicht mehr. Die unisono geäußerte Befürchtung, hier werde ein „bürokratisches Monstrum“ ohne konkreten Stakeholder-Nutzen geschaffen, hat Wirkung gezeigt. Zudem geht der bisherige Corporate Governance Bericht – bereits gelebter Praxis folgend – künftig in der Erklärung zur Unternehmensführung auf.

Overboarding

Die neuen Empfehlungen zur Ämterhäufung im Aufsichtsrat werden einige Emittenten spürbar treffen; für diejenigen Unternehmen, die ihr Verhalten zur Sicherstellung ausreichender HV-Mehrheiten schon bislang an den Regelwerken der Stimmrechtsberater ausrichten (müssen), ändert sich nicht viel. Auch wenn gegenüber dem Entwurf einige überschießende Spitzen zurückgenommen wurden, ist die Unvereinbarkeit von Aufsichtsratsvorsitz und (einfachem) Vorstandsamt bei einer anderen börsennotierten Gesellschaft erhalten geblieben. Manches Unternehmen im MDAX wird dies treffen. Dass der Kodex den vermuteten Zielkonflikt von Expertise und zeitlicher Verfügbarkeit hier schematisch zulasten der Expertise löst, ist bedauerlich. Betroffenen Unternehmen ist der Mut zur Abweichung zu wünschen.

Unabhängigkeit im Aufsichtsrat

Zu begrüßen sind die Neuerungen zur Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder. Der Kodex 2019 beschränkt klarstellend seine Anwendbarkeit auf die Anteilseignerseite und bildet für die Unabhängigkeit zwei neue Unterkategorien, nämlich die Unabhängigkeit von Gesellschaft/Vorstand einerseits und die Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär andererseits. Für die Beurteilung der Unabhängigkeit von der Gesellschaft/Vorstand sieht der Kodex 2019 erstmals mehrere Indikatoren vor. Sofern ein Aufsichtsratsmitglied trotz Indikatortreffer als unabhängig angesehen wird, soll dies in der Erklärung zur Unternehmensführung begründet werden. Mehr als die Hälfte der Anteilseignervertreter, darunter der Aufsichtsratsvorsitzende sowie die Vorsitzenden von Prüfungs- und Vergütungsausschuss, sollen unabhängig von der Gesellschaft/Vorstand sein.

Auch für die Unabhängigkeit von einem kontrollierenden Aktionär enthält der Kodex 2019 erstmals eine Definition. Hat die Gesellschaft einen kontrollierenden Aktionär und gehören dem Aufsichtsrat mehr als sechs Mitglieder an, sollen dem Aufsichtsrat mindestens zwei vom kontrollierenden Aktionär unabhängige Anteilseignervertreter angehören; ist der Aufsichtsrat kleiner, genügt mindestens einer. In jedem Fall unabhängig vom kontrollierenden Aktionär soll der Vorsitzende des Prüfungsausschusses sein.

Sonstiges zum Aufsichtsrat

Anders als der Entwurf sieht der Kodex 2019 nicht mehr die Empfehlung einer nur dreijährigen Amtszeit für Aufsichtsratsmitglieder vor. Die regelmäßige Selbstevaluierung ersetzt die bisherige Effizienzprüfung, allerdings anders als im Entwurf ohne Festlegung eines dreijährigen Mindestüberprüfungsintervalls.

Vorstandsvergütung

Gegenüber dem Entwurf ist die bloße Anzahl der vergütungsbezogenen Grundsätze und Empfehlungen – sicher auch im Lichte der neuen gesetzlichen Vergütungsregelungen im ARUG II – reduziert worden, jedoch sollte man sich davon nicht zu sehr beeindrucken lassen: Bisherige Grundsätze finden sich nun teils im Gewand von Empfehlungen, teils wurden Empfehlungen zusammengeführt.

Die wichtigste Änderung betrifft die langfristige Vorstandsvergütung: Hatte der Entwurf – eine Welle der Kritik auslösend – zwingend eine Vergütung in Aktien mit vierjähriger Mindesthaltefrist vorgesehen, enthält der Kodex 2019 die extrem praxisrelevante Öffnung in Richtung sonstiger aktienbasierter Vergütung. Auch sonst ist die zu begrüßende Tendenz weg von einem bestimmten „Ob“ zur Darlegung des „Wie“ des Umgangs mit vergütungsrelevanten Aspekten erkennbar.

Fazit

Hätte es angesichts der (insgesamt eher überschaubaren) Früchte einer Reform bedurft? Wohl nein. Von Anfang an war der eigene Anspruch der Kommission zu hochgesteckt. Am Ende verbleiben Änderungen, die auch ohne Anspruch „auf den großen Wurf“ hätten geregelt werden können. Dass die Praxis der Kodexnovelle insgesamt entspannt entgegenblicken kann, dazu hat auch der BGH vor Kurzem beigetragen – mit seiner Entscheidung vom 09.10.2018 (II ZR 78/17, DB 2019 S. 294), nach der Abweichungen des Wahlvorschlags von den Empfehlungen des DCGK nicht die Anfechtbarkeit von AR-Wahlen begründen können.