DER BETRIEB
Umsatzsteuer – § 25f UStG neu – ein untauglicher Versuch!?
– Plädoyer für eine echte Stärkung der Betrugsunanfälligkeit –

Umsatzsteuer – § 25f UStG neu – ein untauglicher Versuch!?

– Plädoyer für eine echte Stärkung der Betrugsunanfälligkeit –

RA/StB Dipl.-Fw. (FH) Dr. Carsten Höink

Die MwSt wurde als einfache Steuer auf Warenlieferungen und Dienstleistungen konzipiert. Dabei adressiert sie den Unternehmer und macht ihn zum zwangsverpflichteten Steuereinsammler des Staates.

RA/StB Dipl.-Fw. (FH) Dr. Carsten Höink
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Steuerdestinatar soll der Endverbraucher sein, der Einkommen und Vermögen für verbrauchbare Güter aufwendet. Der Erfolg dieser Steuer hängt erheblich von der Akzeptanz aufseiten der Unternehmer ab. Und dennoch: Unternehmerstellung und MwSt – das ist seit jeher eine Beziehung mit Brisanz, denn Fehler in der Anwendung treffen den Unternehmer, welcher dem Grunde nach nicht belastet sein soll. Vielfach musste der EuGH unter dem Blickwinkel der Neutralität der MwSt zugunsten des Unternehmers korrigierend eingreifen.

Betrugsvermeidung

Der EuGH attestiert der MwSt, dass sie systembedingt betrugsanfällig ist. Die Ausmaße des Mehrwertsteuerbetrugs in der EU sind Treiber für Reformen. Bereits die sog. quick fixes (Änderung der MwStSystRL in Form von Sofortmaßnahmen beim Konsignationslager, EU-Reihengeschäft, der Aufwertung der USt-IdNr. und der ZM sowie die Vermutungsregelung nach Art. 45a MwSt-DVO 282/2011) sind mit dem Ziel erlassen worden, das derzeitige MwSt-System im EU-Binnenmarkt einfacher und robuster gegen Missbrauch und Betrug zu gestalten. Der Betrug im Bereich der MwSt durch den Karussellbetrug treibt die Finanzpolitik auf EU-Ebene, aber auch auf nationaler Ebene, zu Änderungen an. Dabei ist umstritten, ob und wie sich ein EU-weit prognostizierter MwSt-Ausfall pro Jahr ermitteln lässt (am 16./17.05.2019 befasste sich die International VAT Association auf ihrer Jahrestagung kritisch mit der Ermittlung und der Aussagekraft der Daten zum MwSt-Ausfall im Rahmen des Vortrags von Prof. Dr. Rita de la Feria, Universität Leeds, und der Preisträgerin der IVA Korina Yiallourou). Festzuhalten bleibt allerdings, dass es MwSt-Betrug gibt und dass dieser wirksam bekämpft werden muss. Auch der EuGH hat sich mit seiner Missbrauchs-Rspr. sehr weit von der einfachen und leicht zu handhabenden MwSt entfernt. Wer sich kollusiv missbräuchlich auf das Gemeinschaftsrecht beruft, kann seine steuerlichen Vorteile nicht in Anspruch nehmen. So wurde im EuGH-Verfahren „R“ (Urteil vom 07.12.2010 – Rs. C-285/09, Owlit) die Abkehr vom objektiven MwSt-System hin zu einem System mit subjektiven Elementen des „kollusiven Zusammenwirkens“ eingeläutet. Interessant an dieser Entwicklung ist, dass nicht die Finanzgerichtsbarkeit (diese hatte sogar AdV gewährt), sondern die höchstrichterliche Strafgerichtsbarkeit in Deutschland den Stein ins Rollen gebracht hatte. Die gegenseitige Strafverfolgung wegen Hinterziehung ausländischer MwSt war seinerzeit nach § 370 Abs. 6 AO nicht möglich und so bedurfte es eines inländischen Tatbestands. Inzwischen sind eine Vielzahl an EuGH-Entscheidungen als sog. Missbrauchs-Rspr. ergangen. Viele Konfliktfelder schafft die Missbrauchs-Rspr. des EuGH, da sie den Anspruch erhebt, dass Sachverhalte mit Steuerumgehung und -hinterziehung nicht die im MwSt-System vorgesehenen Vorteile erhalten dürfen. Sie erhebt den Anspruch, in allen Mitgliedstaaten Geltung zu haben – gleichgültig, ob sie de lege lata Rückhalt in den jeweiligen nationalen MwSt-Gesetzen findet oder nicht. Dabei geht der EuGH auch Konflikten mit nationalen strafrechtlichen Verjährungsfristen (vom 08.09.2015 – Rs. C-105/14, Ivo Taricco) der Konfliktlage mit Rechten von Verfassungsrang nicht aus dem Weg. Eine effektive Betrugsbekämpfung ist dem EuGH erkennbar wichtig, denn wer „wusste oder hätte wissen müssen“, dass er sich mit seinem Leistungsbezug oder dem erbrachten Umsatz an einem Umsatz beteiligt, bei dem Steuerhinterziehung geschieht, verliert die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung, den Vorsteuerabzug oder Vorsteuererstattung nach der Rspr., unabhängig davon, ob das nationale Recht eine derartige Regelung enthält oder nicht (EuGH vom 18.12.2014 – Rs. C-131/13, DB 2015 S. 38; dazu vgl. Müller, StR kompakt, DB0690090; Rs. C-163/13 und Rs. C-164/13, Italmoda).

Umsetzung der EuGH-Missbrauchsrechtsprechung

Kaum verwunderlich ist daher, dass der RefE zum Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ebenfalls eine Vorschrift enthält, welche diese Rspr. in nationales Recht umsetzt:

„§ 25f Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Hinterziehung

(1) Sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass (...)“ (§ 25f i.d.F. des RefE vom 08.05.2019).

Ziel der Vorschrift ist die Umsetzung der EuGH-Missbrauchsrechtsprechung. § 25f UStG-E soll der Bekämpfung des USt-Betrugs, insb. in Form von Ketten- oder Karussellgeschäften dienen. Er bedient sich der Grundsätze der Rspr. und versagt bei Einschlägigkeit die Steuerbefreiung und den Vorsteuerabzug. Die bisherige Regelung des § 25d UStG, welcher als Haftungsregelung den Steuerausfall im Karussellbetrug eindämmen wollte, soll abgeschafft werden. Ausweislich der Begründung im RefE soll der Unternehmer die Feststellungslast für Steuerbefreiung und Vorsteuerabzug in tatsächlicher Hinsicht tragen, während die Finanzverwaltung die Beweislast für die objektiven Umstände, die für die wissentliche Einbindung des Unternehmers in betrügerische Aktivitäten sprechen, tragen soll.

Kritische Stellungnahme

Dabei verkennt der Entwurf, dass die Praxis bereits über das „hätte wissen müssen“ in vielen kritischen Bp diskutiert. Der Gesetzentwurf umfasst sowohl „wissen“ als auch das „hätte wissen müssen“. Zugleich soll ausweislich der Begründung die Versagung der Rechte der Höhe nach auf die Höhe des in der Leistungskette entstandenen Steuerschadens begrenzt sein. Dies ist dem Gesetzentwurf als solchem allerdings nicht zu entnehmen. Auch ist – im Gegensatz zu § 25d UStG derzeitiger Fassung – das „wissen“ und vor allem das „hätte wissen müssen“ nicht bestimmt. Es sollen zudem offenbar sämtliche vorhergehende oder nachfolgende Umsatzstufen erfasst werden.

Die Regelung wirft daher Fragen nach dem Bestimmtheitsgrundsatz, nach der tatsächlichen Beweislastverteilung und vor allem einer ungerechtfertigten Überkompensation durch mehrfache Versagung der USt auf. Zudem darf die MwSt nicht als Sanktion/Strafe wirken. Im Verfahren „Vetsch“ (EuGH vom 14.02.2019 – Rs. C-531/17) war die Frage, ob ein Betrug auf einer späteren Umsatzstufe eine derartige Versagung rechtfertigen kann, gestellt. Der EuGH urteilte zugunsten des Stpfl., ohne im Detail diese Frage abschließend zu beantworten. Eine Überkompensation aufgrund mehrfacher Versagung von Steuerbefreiungen und Vorsteuerabzug (insb. dann, wenn ehrliche Unternehmer die USt an den Fiskus abgeführt haben) wird nicht zulässig sein. Der EuGH hatte aber bislang keine Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Der Entscheidung N Luxembourg 1 u.a. (vom 26.02.2019 – Rs. C-115/16, Owlit; dazu vgl. Müller, StR kompakt, DB1300729) ist allerdings zu entnehmen, dass ein „hätte wissen müssen“ einen Vorsatz erfordert.

Die Regelung des § 25f UStG des RefE ist ein „untauglicher Versuch“, den USt-Betrug einzudämmen. Die Regelung wirft mehr Fragen auf, als Antworten auf kritische Fälle gegeben werden. Sollte sie eingeführt werden, ist zu erwarten, dass die Regelung die Gerichte beschäftigen wird, denn es wird „das Kind mit dem Bade ausgekippt“. Der ehrliche Unternehmer muss sich stetig um den Beweis des Nichtwissens bemühen. Die Unternehmer sind bereits mit der Umsetzung ihrer innerbetrieblichen Kontrollsysteme im Rahmen der steuerlichen Compliance mit erheblichen Kontrollen der Zulieferer, Dienstleister und Kunden befasst. Die Überprüfung einer gesamten Leistungskette wird in einer globalisierten Wirtschaftswelt nicht leistbar sein. Und dennoch erlebt die Unternehmenspraxis vielfach, wie aus der Retrospektive heraus Vorhaltungen gemacht werden.

Die Neuregelung verdeutlicht, wie wichtig Compliance Management und das innerbetriebliche Kontrollsystem USt geworden sind. Deutlich wird dabei, dass die ehrlichen und ehrbaren Unternehmer die Leidtragenden sein werden. Die Betrüger werden in den seltensten Fällen aufgegriffen, da sie abgetaucht sind. Diejenigen, denen gegenüber der Vorwurf eines „hätte wissen müssen“ bei einer Überprüfung der Leistungskette gemacht wird, werden die Hauptlast und wahrscheinlich auch die Steuer tragen müssen.

M.E. hätte man besser daran gearbeitet, die USt/MwSt sicherer gegen betrügerische Machenschaften zu gestalten. Ein flächendeckendes Reverse-Charge-Verfahren ist zwar in den Beschlüssen des ECOFIN und des Rates der EU von Ende 2018 als Testversuch enthalten. Derartige Schritte werden aber nur zögerlich angegangen. Dabei wird es dringend Zeit – die MwSt muss im System betrugssicher werden, damit Akzeptanz bei Unternehmen und Steuerdestinataren erhalten bleibt. Verliert der Unternehmer sein Vertrauen in das System der MwSt und dessen Funktionstüchtigkeit, dann führt dies zu einem Akzeptanzverlust, welcher letzten Endes zu einem erheblich größeren Problem für das MwSt-Aufkommen wird.

Die vorgeschlagene Neuregelung des § 25f UStG sollte dringend dahingehend angepasst werden, dass der ehrliche Unternehmer nicht grenzenlos die Verantwortung zugewiesen erhält. Eine Allianz von Unternehmer und Finanzverwaltung bei der Errichtung wirksamer Prüfmechanismen, der Betrugsbekämpfung und Kontrollsysteme wird dienlich sein, eine unbegrenzte Inanspruchnahme beim USt-Ausfall hingegen nicht.