DER BETRIEB
Skylla und Charybdis
Die neue EU-Whistleblowing-Richtlinie

Skylla und Charybdis

Die neue EU-Whistleblowing-Richtlinie

RA/FAArbR Prof. Dr. Paul Melot de Beauregard, LL.M.

Von Unternehmen wird Transparenz gefordert. Gleichzeitig legt sich der Datenschutz wie Mehltau auf das tägliche Geschäft. Wie passt es da, dass nun Mitarbeiter und andere aufgefordert werden, ihnen zur Kenntnis gelangte Betriebsinterna direkt nach außen zu kommunizieren?

RA/FAArbR Prof. Dr. Paul Melot de Beauregard, LL.M.
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Manch einer mag sich bei der aktuellen Diskussion um die europäische Whistleblowing-Richtlinie an die antike Sage von Skylla und Charybdis erinnert fühlen. Schon Thukydides wusste: „Die Enge, wo die Wasser weiter Meere, aufeinanderstoßen und Strömungen bilden, galt mit Grund als gefährlich.“

So ähnlich wird heute in den Unternehmen der Kampf zwischen Datenschutz auf der einen und Transparenz auf der anderen Seite geführt. Immer stärker nimmt man den Widerspruch zwischen beidem wahr. Während im Gefolge der Datenschutzgrundverordnung täglich ängstlich gefragt wird, ob das eine oder andere überhaupt gespeichert und weitergegeben werden dürfe oder nicht vielmehr sofort gelöscht werden müsse, explodieren auf der anderen Seite die Normen und Regelungen, die immer mehr Daten in die Öffentlichkeit ziehen: Vom Corporate Governance-Kodex bis zum Geldwäschegesetz, vom Transparenzregister bis zum neuen Geheimnisschutzgesetz.

Der Normgeber irrlichtert zwischen Geheimhaltung und Transparenz

In diese Diskussion reiht sich nahtlos die Verabschiedung des Entwurfs einer europäischen Whistleblowing-Richtlinie durch das Europäische Parlament im April diesen Jahres ein. Sie sieht weitreichende Konsequenzen für Unternehmen in der Europäischen Union vor. Hierzu gehört insbesondere das verpflichtende Einrichten einer Whistleblowing-Hotline und der Schutz sog. Whistleblower. Letzteren soll Anonymität zugesichert und sie vor arbeitsrechtlichen oder sonstigen Maßnahmen geschützt werden. Gegenüber Unternehmen, die diese Vorgaben nicht einhalten bzw. dagegen verstoßen, sollen dagegen Sanktionen eingeführt werden.

Vorderhand betrachtet, mag man dies sogar positiv finden können. Sind nicht zuletzt z.B. durch die Bekanntmachungen über einen Apotheker, der Krebspatienten einfache Kochsalzlösungen als Arzneien verkaufte, oder auch von Manipulationen im Bankenwesen durch Whistleblower gemeingefährliche Taten ans Tageslicht gekommen? Liegt im Schutz von Personen, die – zumeist als Insider – von rechtswidrigen Umständen Kenntnis erlangen und diese an die Öffentlichkeit bringen nicht sogar die einzige Möglichkeit in der komplizierten Welt von heute und morgen Menschen zu schützen und der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen?

Schaut man sich die Sache jedoch genauer an, so liegt dem eine bedenkliche Entwicklung zugrunde. Die Einhaltung von Normen obliegt in unserer demokratischen Grundordnung dem Staat und ihm allein. Dies folgt aus der Gewährleistung von Polizei und umfassendem Gerichtswesens sowie aus dem Gewaltmonopol. Ein Beschuldigter hat daher im Strafprozess solange als unschuldig zu gelten, wie er nicht verurteilt ist. Jenseits zivilrechtlicher Ansprüche ist die Durchsetzung von Rechtsnormen staatliche Sache. Behörden und Polizei wachen über ihre Einhaltung.

Die Macht des Whistleblowers

Dieses auf – bisheriger – gesellschaftlicher Übereinkunft beruhende Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfährt durch das Whistleblowing eine grundlegende Veränderung. Denn wieso sollte sich ein Staat, der seinen Bürgern den versprochenen Rechtsschutz vollumfänglich gewährleisten kann, der Hilfe Privater bedienen? Durch eine solche Teil-Privatisierung der Rechtsdurchsetzung wird eine Grenze überschritten und eine exklusive Aufgabe des Staates ihrer Kontrolle entzogen. Hier liegt eines der Probleme darin, dass das Motiv eines Whistleblowers keine Rolle spielen soll. Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob jemand aus „guten“ oder „schlechten“ Motiven an die Öffentlichkeit geht. Sondern es geht um die Frage, inwieweit das Risiko eröffnet wird, der Möglichkeit von Rache oder Erpressung Raum zu geben.

Weiterhin ist es gefährlich, da unumkehrbar, wenn Vorwürfe sich über soziale Netzwerke unwiderruflich um die Welt verbreiten – dies insbesondere da, wo der bloße Vorwurf den sozialen Tod bedeuten kann, ungeachtet, ob er sich am Ende bestätigt oder nicht. Dies wird etwa derzeit durch eine Initiative in England thematisiert, die sich mit unbestätigten Vorwürfen des Kindesmissbrauchs beschäftigt. Zu Recht fordert diese Initiative die Vertraulichkeit von persönlichen Daten, insbesondere Namen, bis zum Abschluss des Verfahrens.

Im Wirtschaftsleben gilt dasselbe: Wie ein Mensch kann auch eine Marke und mit ihr das dahinterstehende Unternehmen durch unbedachte Vorhaltungen und Anschuldigungen unwiederbringlich zerstört werden, oder mit Warren Buffett: „It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it“. Ob der Vorwurf sich bestätigte oder nicht, interessiert hinterher niemanden mehr. Polizeiliche Ermittlungen unterliegen der Geheimhaltung – private Whistleblower interessieren sich für diese aus der Natur der Sache heraus nicht.

Staatliches Defizit und rechtsfreier Raum

Die Whistleblowing-Richtlinie stellt ein Eingeständnis dar, dass die Exekutive sich nicht mehr in der Lage sieht, den gesetzlichen Rahmen durchzusetzen. Diesen will sie mit Hilfe privater „Hilfssheriffs“ nun effektiver implementieren. Daraus kann man zwei Rückschlüsse ziehen: Entweder werden unsere Behörden nicht mit ausreichend Personal und Material versorgt, um die Durchsetzung der Regeln zu gewährleisten. Oder die Zahl der Regeln ist zu umfangreich geworden, dass sie mit dem zu Gebote stehenden Personal und Material noch durchsetzbar wäre. Die richtige Antwort mag – wie bei Skylla und Charybdis – in der Mitte liegen.