DER BETRIEB
Die G20-Beschlüsse: Durchbruch zu einer besseren internationalen Besteuerung?

Die G20-Beschlüsse: Durchbruch zu einer besseren internationalen Besteuerung?

Prof. Dr. Clemens Fuest

Bei ihrem Treffen in Fuokuoka in Japan am 09.06.2019 haben die Finanzminister der G20-Länder sich vorgenommen, die Besteuerung multinationaler Unternehmen zu reformieren.

Prof. Dr. Clemens Fuest
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Aktueller Anlass für diese Initiative ist die wachsende öffentliche Kritik an der Besteuerung der Digitalwirtschaft, vor allem der großen US-Digitalkonzerne. Viele Digitalfirmen erzielen hohe Umsätze in Europa, zahlen dort aber kaum Gewinnsteuern. Die geltenden Besteuerungsregeln sehen auch keineswegs vor, dass Unternehmen dort Gewinnsteuern zahlen, wo sie ihre Produkte absetzen. Die Besteuerungsrechte liegen in erster Linie dort, wo Unternehmen ihre Produkte entwickeln, sie herstellen und dort, wo die Markenrechte angesiedelt sind. In der aufgeheizten öffentlichen Debatte geht das aber unter, und prinzipiell ist es durchaus möglich, die Besteuerungsrechte umzuverteilen. Hinzu kommt, dass die US-Digitalfirmen auch in den USA wenig Steuern zahlen, weil sie durch geschickte Gestaltungen einen erheblichen Teil ihrer Gewinne in Steueroasen verlagern können. Die EU-Kommission hat auf die öffentliche Kritik an der Besteuerung der Digitalwirtschaft reagiert und vorgeschlagen, Internetunternehmen sollten künftig einen Teil ihrer Gewinne dort versteuern, wo sie ihre Umsätze machen, also in den sog. ‚Marktländern‘.

Gewinner und Verlierer bei einer „Marktland“-Besteuerung

Die G20-Finanzminister haben die Idee der Verlagerung von Besteuerungsrechten in die Marktländer aufgegriffen. Diese Verlagerung soll allerdings nicht nur für die Digitalwirtschaft gelten, sondern für alle Branchen.

Diese Reform hätte weitreichende Folgen. Der mit dem internationalen Steuerwettbewerb einhergehende Druck, Steuern zu senken, würde abnehmen. Absatzmärkte kann man nicht so leicht verlagern wie Patente oder Produktionsstätten. Hier sehen Kritiker des Steuerwettbewerbs einen Vorteil der Marktlandbesteuerung. Die Umverteilung der Besteuerungsrechte würde aber Gewinner und Verlierer erzeugen. Länder mit Exportüberschüssen wie Deutschland würden Besteuerungsrechte verlieren. Heute bezahlt z.B. Volkswagen seine Gewinnsteuern hauptsächlich in Deutschland, obwohl das Unternehmen einen Großteil seiner Autos im Ausland verkauft, vor allem in China. Nach der Reform würde ein größerer Teil der Gewinne in China versteuert.

Eine Mindestbesteuerung mit zwei Elementen

Die drohenden Verluste für Deutschland sind vermutlich ein wichtiger Grund dafür, dass Deutschland – unterstützt von Frankreich – einen zweiten Vorschlag auf die G20-Reformagenda gesetzt hat: Eine globale Mindestbesteuerung. Diese Mindestbesteuerung beruht auf zwei Maßnahmen. Erstens sollen Firmen, die in Hochsteuerländern ansässig sind, in ihrem Sitzstaat auf Gewinne ihrer ausländischen Tochtergesellschaften zusätzliche Steuern zahlen, sofern die ausländische Besteuerung niedriger ist als der Mindeststeuersatz. Zweitens sollen Zahlungen heimischer Unternehmen ins Ausland ebenfalls mit der Mindeststeuer belegt werden. Wenn ein deutsches Unternehmen z.B. für Werbung eine Zahlung an Google leistet und nicht nachweisen kann, dass Google diese Zahlung zum Mindeststeuersatz versteuert, muss das deutsche Unternehmen die Steuer an den deutschen Fiskus abführen.

Hindernisse bei der Umsetzung

Von politischer Seite werden die G20-Beschlüsse bereits als Revolution der Besteuerung multinationaler Unternehmen und Durchbruch zu einer gerechteren Besteuerung gefeiert. Schon im Jahr 2020 sollen die Reformüberlegungen so weit sein, dass die Umsetzung beginnen kann. Das erscheint unrealistisch, denn die G20-Beschlüsse sind bislang noch wenig konkret. Da hier grundlegend neue und teils hochkomplizierte Regelungen vorgesehen sind, ist diese Reform eine große Herausforderung. Mindeststeuern auf bestimmte im Ausland erzielte Gewinne gibt es in vielen Ländern bereits, auch in Deutschland. Die Ausweitung auf jegliche Zahlung an ausländische Empfänger wäre jedoch neu und würde den administrativen Aufwand deutlich steigern. Bei jeder Zahlung ins Ausland müsste geprüft werden, ob sie beim Empfänger hinreichend hoch besteuert wird. Was passiert z.B., wenn die Zahlung in ein Land geht, das Unternehmen die Steuern durch mehr oder weniger transparente Subventionen oder Sonderregelungen bei der steuerlichen Bemessungsgrundlage ausgleicht? Letztlich müssten alle ausländischen Steuersysteme laufend daraufhin kontrolliert werden, ob sie die Mindestbesteuerung einhalten. Ein neues internationales Zertifizierungssystem müsste das leisten. Von jeder nationalen Steuerbehörde zu verlangen, das zu überwachen, ist illusorisch.

Die geplante Verlagerung der Besteuerungsrechte in Marktstaaten ist noch erheblich aufwändiger. Sie würde völlig neue und bislang nicht erprobte Regeln erfordern. Ein Vorschlag lautet, die weltweiten Konzerngewinne aufzuspalten in einen wie bisher besteuerten ‚Routinegewinn‘ einerseits und den darüber hinausgehenden Gewinn andererseits. Letzterer würde anteilig in den Marktstaaten versteuert. Für die Ermittlung des weltweiten Gewinns müsste man sich auf eine gemeinsame steuerliche Bemessungsgrundlage einigen, die bislang noch nicht einmal in Europa konsensfähig ist. Auch die Gewinnaufspaltung ist hochkomplex, ebenso wie die Zuordnung des Nicht-Routinegewinns zu Marktstaaten und anderen Ländern. Es ist kaum zu vermeiden, dass durch wachsende Komplexität auch neue Möglichkeiten der Steuervermeidung geschaffen werden.

Ob die Reform wirklich kommt, hängt davon ab, ob die fiskalischen Verlierer zustimmen

Die Probleme bei der Umsetzung der geplanten Reformen innerhalb eines Jahres zu lösen, dürfte unrealistisch sein. Trotzdem ist es richtig, dass die G20-Staaten versuchen, koordiniert gegen Steuervermeidung vorzugehen. Bislang geschieht das vorrangig unilateral, was Risiken der Doppelbesteuerung und eine Verzerrung von grenzüberschreitenden Investitionen nach sich zieht. Sowohl gegen Nichtbesteuerung als auch gegen Doppelbesteuerung koordiniert vorzugehen, ist der richtige Ansatz. Ob es tatsächlich dazu kommt, wird sich zeigen, wenn klar ist, welche G20-Staaten fiskalisch als Gewinner und welche als Verlierer dastehen und ob diese Staaten die Umverteilung der Steuereinnahmen auch akzeptieren. Ein Scheitern der Reform kann man derzeit nicht ausschließen. Aus deutscher Sicht könnte man sich in diesem Fall damit trösten, dass die schon länger vorliegenden Forderungen der Marktländer nach erweiterten Besteuerungsrechten zulasten der stark exportorientierten Länder vorerst vom Tisch wären.