DER BETRIEB
Brauche ich eine Verfahrensdokumentation?

Brauche ich eine Verfahrensdokumentation?

RiFG Dr. Franziska Peters

Die Frage nach dem Umgang mit digitalen Kassen- und Buchführungsdaten nimmt in steuerlichen Außenprüfungen immer mehr Raum ein. In jüngerer Zeit wird dabei von Vertretern der Finanzverwaltung zunehmend auf die sog. „Verfahrensdokumentation“ verwiesen.

RiFG Dr. Franziska Peters
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Anlass ist Tz. 151 der GoBD (Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff, Neufassung durch BMF-Schreiben vom 11.07.2019, VA1309678 = BStBl. I 2019, noch nicht veröffentlicht), die die Erstellung einer Verfahrensdokumentation für alle im Unternehmen verwendeten Datenverarbeitungssysteme, die im Zusammenhang mit elektronischen Büchern und sonst erforderlichen Aufzeichnungen stehen, verlangen. Dazu sollen

  1. eine allgemeine Beschreibung, Anwenderdokumentation, technische Systemdokumentation und Betriebsdokumentation sowie

  2. eine Beschreibung aller Betriebsabläufe i.R.d. Datenverarbeitung

gehören.

BP-Risiko formale Fokussierung

In der bisherigen Diskussion um die Verfahrensdokumentation geht es sowohl um die Berechtigung als auch um den konkreten Inhalt einer „richtigen“ Verfahrensdokumentation. Liest man die entsprechende Tz. der GoBD und die hierzu erschienenen Veröffentlichungen von Vertretern der Finanzverwaltung (vgl. z.B. Teutemacher, BBK 2018 S. 20; Henn, DB 2016 S. 254 ff.; Danielmeyer/Neubert/Unger, AO-StB 2019 S. 125), ist aus deren Sicht unter der „Verfahrensdokumentation“ eine Beschreibung sämtlicher betrieblicher Abläufe im Zusammenhang mit der digitalen Buchführung und Belegablage zu verstehen. Konkrete Anforderungen an eine „richtige“ Verfahrensdokumentation ergeben sich aus den GoBD selbst nicht. Im Betriebsprüfungsalltag besteht auch aus diesem Grund das nicht zu unterschätzende Risiko, dass sich die Prüfer auf die Einhaltung der Anforderungen der GoBD an eine ausreichende Verfahrensdokumentation fokussieren und aus rein formalen Beanstandungen eine Schätzungsbefugnis ableiten, ohne die Bedeutung eines Fehlens oder einer – aus Sicht der Prüfer – ungenügenden Verfahrensdokumentation darzulegen und einzelfallbezogen zu gewichten.

Schätzungsbefugnis setzt die Verletzung einer Rechtsnorm voraus

Es mag zutreffend sein, dass eine Verfahrensdokumentation für den Außenprüfer den „Einstieg“ in die Prüfung erleichtert und sich so Aufgriffsrisiken reduzieren lassen (so die Einschätzung bei Danielmeyer/Neubert/Unger, AO-StB 2019 S. 125). Diese Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Verfahrensdokumentation ist aber von der Frage zu unterscheiden, ob eine gesetzliche Verpflichtung zur Erstellung und Vorlage einer Verfahrensdokumentation besteht. Nur im Fall einer gesetzlichen Verpflichtung kann aus einer fehlenden Verfahrensdokumentation ein Verwerfen der Buchführung und eine Schätzungsbefugnis hergeleitet werden, denn eine Schätzungsbefugnis setzt die Verletzung einer Rechtsnorm voraus (BFH vom 25.03.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015 S. 743 = DB 2015 S. 1702).

Prüfungsmaßstab sind die steuerlichen und außersteuerlichen gesetzlichen Buchführungsvorschriften

Die GoBD als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift als solche sind für die Gerichte nicht bindend, weshalb eine „Subsumtion“ unter die GoBD im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung nicht erfolgen wird (vgl. hierzu auch Peters, DB 2018 S. 2846). Gerichtlicher Prüfungsmaßstab sind die steuerlichen und außersteuerlichen gesetzlichen Buchführungsvorschriften. Im Zusammenhang mit der Dokumentation digitaler Buchführungsprozesse sind dies vor allem § 147 Abs. 1 AO, aus dem folgt, dass es darauf ankommt, ob Datensätze steuerrelevant sind und in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden, und § 146 Abs. 4 AO, das Gebot der Unveränderbarkeit.

Aufbewahrungspflichtige sonstige Organisationsunterlagen

Die Überprüfbarkeit der Inhalte und der Ordnungsmäßigkeit steuerrelevanter digital erstellter Buchführungsunterlagen setzt die Kenntnis der Programmierung und der Funktionsweise des eingesetzten Datenverarbeitungssystems voraus. Die entsprechende Dokumentation ist kein Selbstzweck, sondern ein Hilfsmittel zum Verständnis der steuerrelevanten Daten. Auch für den BFH gehören die Betriebsanleitung sowie die Protokolle nachträglicher Programmänderungen bei einem programmierbaren Kassensystem zu den gem. § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtigen „sonstigen Organisationsunterlagen“ (BFH vom 25.03.2015, a.a.O.; vom 25.03.2015 – X B 65/17, BFH/NV 2018 S. 517). Auf der Basis der Rspr. des BFH zu Kassenunterlagen bei einem programmierbaren Kassensystem kann eine Dokumentation für solche Datenverarbeitungssysteme gefordert werden, die steuerrelevante Daten aufzeichnen. Diese Dokumentation muss das Verständnis des Dateninhalts sowie eine systematische Prüfung der Daten ermöglichen („Spielanleitung“). Hierzu gehört eine Beschreibung der Funktion der eingesetzten Software, der grundlegenden Programmabläufe und Strukturen sowie gem. § 146 Abs. 4 AO die Dokumentation der ursprünglichen Programmierung und späterer Änderungen der Programmierung. Es ist außerdem darzulegen, welche individuellen Benutzereinstellungen die eingesetzte Software ermöglicht und in welcher Weise diese Einstellungen vom Stpfl. vorgenommen wurden.

Keine umfassende Beschreibung sämtlicher Betriebsabläufe

Einer umfassenden Beschreibung sämtlicher Betriebsabläufe im Zusammenhang mit der Buchführung und Belegablage bedarf es hingegen nicht. Insb. fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für eine Verfahrensdokumentation (so auch Brete, DStR 2019 S. 258 ff.; a.A. Hruschka, DStR 2019 S. 260). Ein so weit reichender Eingriff in die unternehmerische Organisation mit der möglichen Rechtsfolge einer Erschütterung der gesetzlichen Vermutungswirkung des § 158 AO bedürfte einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage. § 145 AO reicht hierfür in seiner Allgemeinheit nicht aus. Der von § 145 Abs. 1 AO geforderte Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens, auf den die GoBD das Erfordernis der „Verfahrensdokumentation“ stützen, kann überdies auch – und weitaus besser – auf andere Weise, z.B. durch mündliche Erläuterung des Stpfl., Befragung von Mitarbeitern oder Betriebsbesichtigung, gewonnen werden. Die umfassende Prüfung der tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse des Unternehmens, die die steuerliche Außenprüfung zum Ziel hat, kann eine Verfahrensdokumentation nicht ersetzen. Ohnehin wäre eine vorhandene Verfahrensdokumentation in der Bp ohne Abgleich mit den tatsächlichen Betriebsabläufen ein bloßer „Papiertiger“. Auch insofern muss die Prüfung der tatsächlichen Betriebsverhältnisse und nicht das „Abhaken“ formeller Erfordernisse der GoBD Schwerpunkt jeder Außenprüfung sein.