DER BETRIEB
Legal Tech: Update für das RDG?

Legal Tech: Update für das RDG?

Dr. Martin Fries

Die Justizministerkonferenz hat sich eine Meinung zum Thema Legal Tech gebildet. Grundlegenden Reformbedarf im Rechtsdienstleistungsrecht sieht sie nicht. Was bedeutet das für den digitalen Wandel in der Rechtspflege?

Dr. Martin Fries
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Amerikanische Verhältnisse sind für die Rechtspflege ein rotes Tuch. Das gilt nicht nur für überkompensierenden Schadensersatz und Sammelklagen, sondern auch für das Selbstverständnis der Anwaltschaft, das jenseits des Atlantiks vergleichsweise stark vom Wettbewerbsgedanken beherrscht wird. Fans der US-Anwaltsserie „Better Call Saul“ denken unwillkürlich an Jimmy McGill alias Saul Goodman, einen frisch zugelassenen Berufsanfänger, der sich sein zunächst hohes Ethos schnell abgewöhnt, als er begreift, dass niemand ihn daran hindert, seine Dienste aggressiv zu vermarkten und sich mit seiner Tätigkeit unabhängig vom Recht ganz nach den Kundenwünschen zu richten.

In Deutschland ticken die Uhren traditionell anders: Hier hat sich der Anwaltsberuf schon vor langer Zeit von einem schnöden Gewerbe zu einem freien Beruf gemausert. Anwälte füllen die ehrbare Funktion eines Organs der Rechtspflege aus. Damit verbunden sind vielfältige Beschränkungen der Berufsausübung durch standesrechtliche Vorgaben, aber auch respektable Privilegien wie die trotz aller aktueller Diskussionen letztlich doch großzügig bemessenen anwaltlichen Gebührensätze.

Für dieses konservative anwaltliche Berufsbild, das der Gesetzgeber mit dem Erlass des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) noch vor zwölf Jahren explizit bestätigt hat, gibt es gute Gründe. Denn je weniger berufsrechtliche Fesseln Anwälten anliegen, desto eher wird aus dem Organ der Rechtspflege ein Organ der individuellen Kontopflege, für das das geltende Recht eine Kostenposition, aber keine bindende ethische Richtschnur mehr darstellt. Zudem kann der durch liberale Regeln forcierte Preiswettbewerb mangels echter Qualitätstransparenz zu einem Verfall der Beratungsqualität führen.

Dennoch wird die Kritik am deutschen Anwaltsmonopol dieser Tage immer vernehmlicher. Und das liegt vor allem an der Digitalisierung. Denn die einfache Verfügbarkeit von Internet-Suchmaschinen und juristischen Frage-Antwort-Plattformen hat den Zugang zu Rechtsinformationen seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts stark vereinfacht und teils von der Anwaltschaft gelöst. Im gleichen Zug sind auch Unternehmensgründer ohne Zulassung zur Anwaltschaft auf den Rechtsdienstleistungsmarkt aufmerksam geworden; sie interessieren sich heute deutlich reger als früher für den Zugang zu diesem Markt.

Neue Geschäftsmodelle im Rahmen des RDG

Es verwundert nicht, dass sich die neuen, nichtjuristischen Akteure vor allem am Rande des rechtlich Zulässigen in den Rechtsdienstleistungsmarkt eingeklinkt haben. So gibt es heute große Anbieter von Dokumenten- und Vertragsgeneratoren, die unter dem insoweit unpassenden Verlagsetikett klassisch anwaltliche Rechtsdienstleistungen erbringen (s. dazu Fries, ZRP 2018 S. 161 [162 ff.]). Häufig anzutreffen sind auch kaschierte Vermittlungsprovisionen (vgl. § 49b Abs. 3 BRAO) und die Durchsetzung von Verbraucherrechten als Inkassogeschäft (vgl. §§ 2, 10 ff. RDG).

Eine ernsthafte Resonanz haben diese Geschäftsmodelle bisher nur mit Blick auf die Inkassothematik gefunden. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen ist hier ein Rechtsverstoß der Legal-Tech-Dienstleister mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerfG (vom 20.02.2002 – 1 BvR 423/99, DB 2002 S. 631 = NJW 2002 S. 1190 [1191 f.]) und des BGH (vom 10.07.2018 – VI ZR 263/17, DB 2018 S. 2560 = NJW-RR 2018 S. 1250 [1255]) kaum zu begründen. Zum anderen waren Legal-Tech-Anbieter bereits seit 2009 unbehelligt als Inkassodienstleister unterwegs; Zweifel an ihrem Tun wurden aber erst im Jahr 2017 geäußert (Valdini, BB 2017 S. 1609 [1611 f.]) – in zeitlicher Koinzidenz mit den Gerichtsverfahren rund um den VW-Abgasskandal, in dem auf Verbraucherseite ebenfalls ein Legal-Tech-Unternehmen auftritt (krit. insofern Gnirke, Der Spiegel vom 06.04.2019 S. 68).

Justizministerkonferenz: Anwaltsmonopol beibehalten

Inzwischen beschäftigt die Inkasso-Frage auch den BGH (Az. VIII ZR 285/18) und lässt Rufe nach dem Gesetzgeber laut werden (s. den Gesetzentwurf in BT-Drucks. 19/9527). Während sich das Bundesjustizministerium bisher noch zurückhält, hat sich die Justizministerkonferenz dem Phänomen Legal Tech bereits in einer Arbeitsgruppe gewidmet. Deren Befund für den Bereich des Rechtsdienstleistungsrechts: Das Anwaltsmonopol soll uneingeschränkt erhalten bleiben, auch eine indirekte Partizipation an den Anwaltsgebühren durch Vermittlungsprovisionen soll verboten bleiben. Um den Zugang zum Recht im Bereich geringwertiger Forderungen zu gewährleisten, erwägt die JuMiKo eine vorsichtige Liberalisierung des Erfolgshonorars und eine behutsame Öffnung des Anwaltsgeschäfts für Fremdkapitalgeber.

Dieser Vorschlag greift wichtige Aspekte der Problematik auf. Zugleich bleibt er an entscheidenden Stellen unscharf:

  1. Die isolierte Feststellung, dass Dokumentengeneratoren aus nichtjuristischer Hand aktuell unzulässig sind, verstellt den Blick darauf, dass sie gemessen am Maßstab der Rechtsberatungsqualität besser erlaubt sein sollten.

  2. Der Hinweis auf das Verbot von Vermittlungsprovisionen nützt wenig im Hinblick auf das gravierende Rechtsdurchsetzungsdefizit in diesem Bereich.

  3. Der Verweis der Inkassoproblematik an die gerichtliche Einzelfallprüfung übersieht, dass der RDG-Gesetzgeber die heutigen Legal-Tech-Dienstleister nicht im Blick hatte. Ihr Ausschluss vom Markt auf Basis des RDG würde ihre Berufsfreiheit in einem Maße beeinträchtigen, die nach der Wesentlichkeitslehre dem Gesetzgeber vorbehalten ist.

Was sichert die Qualität der Rechtsdienstleistung?

Trotz seines noch jugendlichen Alters braucht das RDG daher dringend ein Update. Besser noch wäre eine große Lösung i.S. einer grundlegenden Weichenstellung für ein strikt durchgesetztes Anwaltsmonopol oder für eine Öffnung des Rechtsdienstleistungsmarkts in Richtung der viel gescholtenen amerikanischen Verhältnisse. Entscheidend dafür sollte sein, was die Qualität der Rechtsdienstleistung am besten sichert.

Faktisch ist der Zug infolge der laxen Rechtsdurchsetzung jüngerer Zeit freilich längst unterwegs in Richtung Amerika. Mit Blick auf die Rechtsberatungsqualität birgt das Risiken, aber immerhin auch Chancen: Man kann durchaus darüber streiten, ob ein durchschnittlicher Fachanwalt für Mietrecht besseren Rechtsrat parat hat als ein nichtjuristisch organisierter Legal-Tech-Anbieter mit der Erfahrung aus 10.000 Mietrechts-Fällen.

Jedenfalls die schlechteste Option ist allerdings eine Beibehaltung der aktuellen Regeln ohne ernst zu nehmende Rechtsdurchsetzung. Denn wenn das Anwaltsmonopol nur auf dem Papier steht und einzelne Anbieter ohne Erlaubnis im Markt still Gewinne einfahren, kommt eine Qualitätssicherung weder über Berufszugangsvoraussetzungen noch über echten Wettbewerb zustande. Auch das lehrt das Beispiel des Saul Goodman, den sein Gewinnstreben rasch in Bereiche führt, die selbst nach dem liberalen amerikanischen Recht nicht mehr legal sind: Wenn ein System seine Regeln nicht durchsetzt, wandeln sich seine Akteure schnell vom Paulus zum Saulus.