DER BETRIEB
BFH sorgt für Rechtsklarheit! Jetzt muss der Gesetzgeber endlich für Rechtssicherheit sorgen!
Rechtsgrundlage für die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen fehlt

BFH sorgt für Rechtsklarheit! Jetzt muss der Gesetzgeber endlich für Rechtssicherheit sorgen!

Rechtsgrundlage für die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen fehlt

RA Jörn Weitzmann

Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns ist derzeit nicht gesetzlich geregelt. Sowohl der Sanierungserlass als auch das BMF-Schreiben vom 27.04.2017 stellen keine Rechtsgrundlage dar. Die gesetzliche Neuregelung des § 3a EStG steht unter Vorbehalt und ist noch nicht in Kraft. Billigkeitsmaßnahmen aus besonderen Gründen des Einzelfalls geben keine Rechtssicherheit.

RA Jörn Weitzmann
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Der Sanierungserlass und das BMF-Schreiben vom April dieses Jahres verstoßen laut der Rspr. des BFH (28.11.2016 – GrS 1/15, RS1228837; 23.08.2017 – I R 52/14, DB 2017 S. 2519, und X R 38/15, DB 2017 S. 2522) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Verwaltung an Gesetz und Recht. Steuerrecht ist Eingriffsrecht. Wesentliche Entscheidungen müssen in einem Parlamentsgesetz enthalten sein. Im Abgabenrecht hat der vorgenannte Verfassungsgrundsatz seinen Niederschlag in § 85 Satz 1 AO gefunden. Nach dieser Vorschrift sind die Finanzbehörden verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben.

Erlass von Sanierungsgewinnen durch Billigkeitsmaßnahmen ist nur in atypischen Ausnahmefällen zulässig

Dieser für das gesamte Verfahren geltende Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist der für das Steuerrecht einfachrechtlich formulierte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG. § 85 Satz 1 AO enthält das im Steuerrecht geltende Legalitätsprinzip. Zweckmäßigkeitserwägungen dürfen bei der Steuerfestsetzung und -erhebung grundsätzlich keine Rolle spielen. Einen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen gibt es nicht. Auch im Wege von Verwaltungserlassen dürfen die Finanzbehörden Ausnahmen von der gesetzlich vorgeschriebenen Besteuerung nicht zulassen, denn der Verzicht auf den Steuereingriff bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Eine Regelung, die der Gesetzgeber abstrakt treffen kann, kann nicht Gegenstand von Billigkeitsmaßnahmen sein. Billigkeitsmaßnahmen dienen der Anpassung des steuerrechtlichen Ergebnisses an die Besonderheiten des Einzelfalls, um Rechtsfolgen auszugleichen, die das Ziel der typisierenden gesetzlichen Vorschrift verfehlen und deshalb ungerecht erscheinen. Eine sachliche Billigkeitsmaßnahme ist sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung, die immer auf den Einzelfall abstellt und atypischen Ausnahmefällen vorbehalten ist.

Mit dieser Begründung hat der Große Senat den Sanierungserlass und der 1. Senat das BMF-Schreiben vom 27.03.2017 – weil gegen das Legalitätsprinzip verstoßend – für unwirksam erklärt. Vulgo: Steuerrecht ist Eingriffsrecht und für einen Eingriff bedarf es eines Parlamentsgesetzes. Man könnte hinzufügen: einer allgemein verständlichen – und nicht nur maschinenlesbaren – Norm.

Bei bilanzierenden Gewerbetreibenden bewirken Forderungsverzichte Ertrag. Um Unternehmen umfassend zu sanieren, ist regelmäßig ein Bündel von leistungs- und finanzwirtschaftlichen Maßnahmen, auch Forderungsverzichte, erforderlich. In der Krise gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger. Für ein Sondervorrecht des Fiskus ist hier kein Platz.

Diese Problemlage ist seit über 90 Jahren bekannt. Deshalb hatte der Reichsfinanzhof schon 1928 entschieden, dass durch Forderungsverzicht der Gläubiger entstandene Mehrungen des Geschäftsvermögens nicht einkommensteuerpflichtig seien, allerdings würde ein ohne Berücksichtigung des Sanierungsgewinns vorhandener Verlust beseitigt, soweit die Sanierung reiche (RFHE 21 S. 263; 29 S. 315).

Der (zwischenzeitlich unterbundene) Handel mit „gebrauchten Mänteln“, d.h. Verlustvorträgen, führte 1997 zur Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F.; man hatte Angst, dass die mit hohen Subventionen entstandenen Verlustvorträge z.B. der Bremer Vulkan von Konzernen genutzt würden, um ihre Steuerlast zu mindern.

Neuregelung erfasst nicht sämtliche Praxiskonstellationen

Die nach dem Beschluss des Großen Senates hastig im April 2017 geschaffene Regelung des § 3a EStG ist kompliziert, lückenhaft, für den Steuerbürger kaum verständlich und nicht ausgewogen. Sie steht darüber hinaus noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der EU-Kommission, dass es sich nicht um eine unzulässige Beihilfe handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass bereits nach geltendem Recht steuerrechtlich nicht unmittelbar an das Leistungsprinzip angeknüpft wird, sondern die Verlustrück- und Verlustvorträge durch die Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 Satz 1 EStG) eingeschränkt werden, um so einen gleichmäßigen Steuerzufluss zu gewährleisten. Es erfolgt also bisweilen eine Besteuerung auf fingierter Grundlage

Mit einer (erfolgreichen) Sanierung des Rechtsträgers ist regelmäßig eine komplette leistungs- und finanzwirtschaftliche Restrukturierung verbunden. Als rechtliche Vehikel stehen ergänzend die Ausgliederung oder die übertragende Sanierung im Rahmen eines sogenannten Asset Deals zur Verfügung. In beiden Fällen erfolgt der Wertansatz der Vermögensgegenstände zum Verkehrswert. D.h., Buchreserven werden gehoben und bewirken über die Abschreibung neue Binnenliquidität.

Unverständlich ist, warum der sich selbst restrukturierende Unternehmensträger (steuerlich das Unternehmen) seine Buchwerte für die Erlangung der Steuerfreiheit zwar auf einen niedrigeren Teilwert abschreiben muss, ihm aber umgekehrt bei stillen Reserven, die regelmäßig wertausschöpfend belastet sind, der Ansatz eines Verkehrswertes versagt ist. Folgerichtig wäre hier, unter Durchbrechung des Grundsatzes der Bilanzstetigkeit den Schuldner im Rahmen einer gesetzlichen Regelung zu verpflichten, eine neue Eröffnungsbilanz auf Grundlage der Verkehrswerte zu erstellen.

Alleiniger Fokus auf Unternehmensfortführungen ist zu eng

Durch die Neuregelung ist ferner der Einzelkaufmann in besonderem Maße benachteiligt. Begünstigt sind nur die unternehmensbezogene Sanierung und die Erträge aus einer Restschuldbefreiung (nachdem ein Insolvenzverfahren durchlaufen wurde). Nicht begünstigt ist sowohl der Forderungsverzicht der Gläubiger, um dem Einzelkaufmann einen schuldenfreien Übergang in das Privatleben zu ermöglichen, als auch ein entsprechender Forderungsverzicht im Rahmen eines Insolvenzplans, sofern nur eine unternehmerbezogene Sanierung erfolgt, d.h. das Unternehmen liquidiert wird. Dieser Unternehmer muss dann, ggf. nur wegen der Steuerforderungen, ein Insolvenzverfahren durchlaufen, an dessen Ende die Restschuldbefreiung steht. Für den Kleinunternehmer gem. § 304 InsO, d.h. denjenigen, der weniger als 20 Gläubiger und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen hat, ist der Sanierungsgewinn steuerfrei. Der Kleinunternehmer nach § 304 InsO kann dabei sehr wohl ein Unternehmer sein, der gem. § 141 AO bilanzierungspflichtig ist. Diese Regelung verstößt wiederum gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie Steuerschuldner, die im Wege eines Vermögensvergleiches ihre Gewinne ermitteln und mehr als 20 Gläubiger haben, anders behandelt als Steuerpflichtige, die den Gewinn in einer Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln oder weniger als 20 Gläubiger und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen haben.

Der Bundestag ist deshalb aufgerufen, im Rahmen einer gesetzlichen Regelung Sanierungsgewinne in allen relevanten Fällen gleichermaßen steuerfrei zu stellen, soweit diese vorhandene Verlustvorträge übersteigen. Dies sollte im Rahmen einer unechten Rückwirkung auch für die bisher noch nicht abgeschlossenen Sachverhalte und Rechtsbeziehungen erfolgen.

Der Gesetzgeber sollte kurzfristig mit der Umsetzung beginnen. Das Risiko, dass Steuerpflichtige wegen der Unsicherheit erneut in die Krise fallen, weil der Steuererlass mit persönlichen oder einzelfallbezogenen sachlichen und Billigkeitsgründen begründet werden muss, ist sonst erheblich.