DER BETRIEB
Solidaritätszuschlag mittelfristig abschaffen
Integration in den Einkommensteuertarif bei Hochverdienern

Solidaritätszuschlag mittelfristig abschaffen

Integration in den Einkommensteuertarif bei Hochverdienern

Stefan Bach

Von der Abschaffung des Solidaritätszuschlags profitieren nur Besser- und Hochverdiener, die über die letzten Jahrzehnte bereits deutlich entlastet wurden. Steuer- und Abgabensenkungen sollten auf geringe und mittlere Einkommen konzentriert werden.

Stefan Bach
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Der Solidaritätszuschlag ist ein Relikt der 1990er Jahre. Er erinnert an die turbulenten Zeiten der Wiedervereinigung und der Auflösung der Ost-West-Nachkriegsordnung. War der Soli in den Jahren 1992/93 vor allem der Finanzierung von Subsidien für den Golfkrieg und Osteuropa gewidmet, wird er seit 1995 dauerhaft für die Kosten der deutschen Einheit erhoben.

Die waren erheblich und deutlich höher als angenommen. Bis 1999 stieg die Staatsverschuldung um etwa 20% des Bruttoinlandsprodukts. Noch heute sind viele ostdeutsche Regionen wirtschaftsschwach und hängen am Tropf des Finanzausgleichs. Das gilt aber auch für viele westdeutsche Regionen. Jahrzehnte nach der wirtschaftlichen Transformation sind die verbleibenden Belastungen vom laufenden Steuer- und Finanzausgleichssystem zu bewältigen. So läuft der Solidarpakt II 2019 aus, ab 2020 sieht der Bund-Länder-Finanzausgleich keine Sonderregelungen mehr für die neuen Länder vor.

Solidaritätszuschlag ab 2020 nicht verfassungswidrig

Damit endet die politische Begründung für den Soli 2020. Ob er auch aus verfassungsrechtlichen Gründen spätestens 2020 abgeschafft werden muss – wie häufig reklamiert –, ist eher zweifelhaft. Die Rspr. des BVerfG zur Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG räumt dem Gesetzgeber einen weitgehenden Beurteilungsspielraum bei deren Erhebung ein. Erforderlich ist nur ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, eine Befristung ist nicht notwendig. Möglich wäre auch eine Fortführung für neue finanzielle Herausforderungen des Bundes. Denn der Bundeshaushalt ist zuletzt auf Kante genäht und hält gerade so die „Schwarze Null“, während Länder und Gemeinden hohe Überschüsse erzielen, jedenfalls im Durchschnitt. Hier zeigt sich eine strukturelle Schwäche des Bundes. Genau für diese Konstellation wurde die Ergänzungsabgabe 1955 in die Finanzverfassung eingeführt – damit der Bund auch ohne Zustimmung der Länder nicht nur Verbrauchsteuern, sondern auch die progressive Einkommensteuer nutzen kann. Daher ist kaum zu erwarten, dass das BVerfG den Soli in den nächsten Jahren kassiert.

Abschaffung des Solidaritätszuschlags entlastet nur Besser- und Hochverdiener

Auf einem anderen Blatt steht, ob man den Soli einfach sang- und klanglos abschaffen sollte, wie das die FDP, die AfD sowie die Unionsparteien fordern – also ohne Kompensationen beim Einkommensteuertarif oder an anderen Stellen des Steuersystems. Denn als Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer wirkt der Solidaritätszuschlag stark progressiv. Simulationsrechnungen mit fortgeschriebenen Daten der Steuerstatistik zeigen, dass das Aufkommen von derzeit (2018) schätzungsweise 18,7 Mrd. € zu 62% von den einkommensreichsten 10% der Bevölkerung aufgebracht wird. Allein das reichste Hundertstel zahlt 28% des Aufkommens. Eine Abschaffung des Soli würde daher nur Besser- und Hochverdiener entlasten.

Betrachtet man die Entwicklung der Steuerbelastungen über die letzten beiden Jahrzehnte, so wurden die Besser- und Hochverdiener bereits deutlich entlastet. Als 1998 der Solidaritätszuschlag auf den heutigen Zuschlagssatz von 5,5% herabgesetzt wurde, lag der Spitzensteuersatz noch bei 53% ab 61.377 € zu versteuerndes Einkommen. Der Soli erhöhte den Spitzensteuersatz auf 55,9%. Heute beträgt der Spitzensteuersatz bei diesen Einkommen nur noch 42% bzw. 45% bei Einkommen über 260.532 €, also einschließlich Soli 44,3% bzw. 47,5%. D.h., auf Spitzeneinkommen wurde die Einkommensteuer seit 1998 um einen Betrag vermindert, der fast dem Dreifachen des Soli entspricht. Ferner wurden seitdem die Unternehmensteuern gesenkt, die Abgeltungsteuer eingeführt, die Vermögensteuer abgeschafft und die Erbschaftsteuer auf Unternehmensübertragungen praktisch beseitigt – Entlastungen, die vor allem den Reichen im Lande zugutegekommen sind.

GroKo-Solidaritätszuschlag ab 2021 nur noch für Hochverdiener – vom „Mittelstandsbauch“ zum „Besserverdiener-Prellbock“

Die Große Koalition hat in ihrem Regierungsprogramm vereinbart, untere und mittlere Einkommen beim Soli ab 2021 zu entlasten. Dafür werden Steuerausfälle von jährlich 10 Mrd. € veranschlagt. Das soll durch eine kräftige Ausweitung der Freigrenze auf etwa 62.000 € zu versteuerndes Einkommen erreicht werden. Die bisherige „Gleitzonenregelung“ sorgt dann dafür, dass die Entlastung bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 77.000 € vollständig abgebaut wird. Dadurch zahlen Stpfl. mit hohen Einkommen den gleichen Solidaritätszuschlag wie bisher, werden also nicht entlastet.

Der Schönheitsfehler dabei ist, dass über das Gleitzonenintervall der gesamte Grenzsteuersatz aus Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag von bisher 44,3% auf 50,4% hochschnellt. Der „Mittelstandsbauch“ geht damit fast nahtlos in einen „Prellbock“ für Besserverdiener über.

Die Alternative wäre, statt der Freigrenze einen echten Freibetrag von etwa 62.000 € zu versteuerndes Einkommen zu gewähren. Dann wird der Solidaritätszuschlag nur noch auf die übersteigenden Einkommen erhoben und nicht mehr in der Gleitzone aufgeholt. Das vermeidet den „Prellbock“ bei den Grenzsteuersätzen und entlastet auch hohe Einkommen, das Minderaufkommen steigt auf etwa 12 Mrd. € im Jahr.

Solidaritätszuschlag bei Hochverdienern in den Einkommensteuertarif integrieren, Geringverdiener und Mittelschichten entlasten

Steuerästhetisch schöner und politisch ehrlicher wäre es, den Solidaritätszuschlag mittelfristig vollständig abzuschaffen. Gleichzeitig sollte eine Entlastung der Top-Einkommen vermieden werden. Dazu kann der Solidaritätszuschlag bei hohen Einkommen in den Einkommensteuertarif integriert werden – z.B., indem für zu versteuernde Einkommen über 54.950 €, ab denen derzeit der erste Spitzensteuersatz von 42% gilt, eine dritte Progressionszone bis 62.000 € zu versteuerndes Einkommen angeschlossen wird, über die der Grenzsteuersatz linear-progressiv von 42% auf 45% steigt. Der „Reichensteuersatz“ ab 260.533 € steigt von 45% auf 48%. Das würde Steuermindereinnahmen von 10,5 Mrd. € im Jahr bedeuten, auch die Besserverdiener würden noch spürbar entlastet, nur die Hochverdiener müssten minimal höhere Steuern zahlen.

Das verbleibende Aufkommen des Solidaritätszuschlags bzw. das kompensatorische Mehraufkommen bei der Einkommensteuer auf hohe Einkommen sollte dazu verwendet werden, die Geringverdiener und Mittelschichten zu entlasten. Hierzu könnten der Grundfreibetrag der Einkommensteuer erhöht oder der „Mittelstandsbauch“ reduziert werden. Entlastungen bei den Sozialbeiträgen durch einen Freibetrag oder durch eine begrenzte Anrechnung auf die Einkommensteuer fokussieren die Entlastungen deutlich stärker auf die Geringverdiener. Ferner könnte der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Nahrungsmittel und öffentlichen Nahverkehr auf fünf Prozent gesenkt werden.